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Der Vorsatz, heute noch nach Hause zu kehren, trieb uns, bevor wir uns noch an dem herrlichen Umblick gesättigt hatten, wieder abwärts zu steigen. Es war weit schwieriger, als wir uns vorgestellt hatten; und nicht ohne Gefahr und vielfache Besorgniß, daß dem Einen oder Andern ein Unglück zustoßen möchte, kamen wir an die Stelle zurück, von wo aus man zu dem Eingang gelangt, welcher in das Innere des Wunderwerks führt. Eine kleine Plattform vor der Pforte gewährt einen sicheren und bequemen Ruhepunkt mit entzückender Aussicht. Hier blieben unsere Damen zurück.

Der Gang, welcher in’s Innere des Todtenhauses führt, steigt erst ab, dann aufwärts, zuletzt wird er eben. Er gleicht vollkommen einem etwa 3 Fuß weiten Schlote, in welchem man auf Händen und Füßen vorwärts kriechen muß. Die Ausdünstung so vieler Personen, das Fackellicht und die eingeschlossene, dumpfige Luft, verursachten eine erdrückende Hitze, die uns äußerst beschwerlich fiel und große Fledermäuse, welche aus ihren Schlupfwinkeln aufgejagt uns schwirrend an die Köpfe fuhren, halfen das Schauerliche der Fahrt vermehren. – Nach halbstündiger mühseliger Arbeit traten wir durch eine kleine Pforte in die Halle, in deren Mittelpunkt, auf einem Piedestal, der letzte Zweck des ungeheuern Gebäudes, der Sarkophag des Cheops steht. Er ist aus einem Stück Jaspis gehöhlt, mit Hieroglyphen verziert, leer und ohne Deckel. Wahrscheinlich ward die Mumie des königlichen Leichnams nebst seinem vielleicht kostbar verzierten Deckel von dem Kalifen Almamon, auf dessen Befehl die Pyramide vor 1000 Jahren geöffnet wurde, weggenommen.

Die Grufthalle ist etwa 20 Fuß hoch und weit, ein viereckiger Saal aus orientalischem Marmor, einfach, aber doch mit Geschmack verziert. Außer dieser Halle befinden sich noch einige kleinere in der Pyramide, und diese haben wahrscheinlich den Wächtern zum Aufenthalt gedient. Auf der Mitte des Weges aber ist ein Brunnen höchst merkwürdig, der wohl 400 Fuß tief zum Grund hinabdringt, auf welchem die Pyramide steht. Wir warfen mehre Steine hinein, welche anfänglich schon in der Tiefe von 30 Fuß den Boden erreichten; als wir aber einen etwas abgerundeten, sehr schweren hinabschleuderten, hörten wir ihn deutlich über einen Absatz des Mauerwerks rollen und dann lange mit donnerähnlichem Getöse, satzweise, die Wände des Brunnens hinab springen, bis er mit lautem Platschen den Spiegel des Wassers erreichte. Nach einer guten Sekundenuhr, die wir bei dem Experimente gebrauchten, mußte die Tiefe des Brunnens, welche Plinius irrig nur zu 200 Fuß angibt, fast das Doppelte betragen. –

Ganz erschöpft erreichten wir nach anderthalbstündigem Ausbleiben den Eingang wieder und begrüßten mit unvergeßlichem Wohlgefallen die freie Luft. Aber unsere Damen empfingen uns mit lautem Gelächter. Denn die rußigen, feuchten Wände der schlotähnlichen Gänge hatten ihren färbenden Stoff unsern Hemden und Nankingbeinkleidern mitgetheilt, und der glänzend-schwarze Anstrich der Hände und Gesichter trug dazu bei, unsere Kohlenbrennermetamorphose zu vervollständigen.“