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die Revolutionen, oder Kriege, zu Grunde gerichtet hatten, und jedem nützlichen Talent und jeder Fertigkeit, welche wo anders kein Gedeihen fand, bot er ein Asyl an, sicherte er Unterstützung und Hülfe zu. Seine Persönlichkeit zog aus allen Gegenden Schaaren von Einwanderern herbei, und Industrie und Gewerbe aller Art suchten unter seiner väterlichen Regierung Schutz und Gedeihen. Alles, was er zum Emporbringen der Provinz, und namentlich Odessa’s, in Petersburg vorschlug, wurde bewilligt: volle Gewerbfreiheit, vervollkommte Posteinrichtungen, Quarantaine-Anstalten, Hospitäler, Handelsschule, Handelsgericht, Börse, Freihafen, Bank, Gelehrten- und Kunstschulen etc. etc. Kaum waren zehn Jahre verflossen unter seiner Verwaltung, und die Bevölkerung, der Handel, die Einkünfte Odessa’s waren gewachsen in einem Verhältniß, für das nur in Nordamerika, dem an Beispielen riesenmäßiger Entwickelung so reichen Lande, ein Maaßstab zu suchen ist.

Als Richelieu das Gouvernement Neurußlands antrat, betrug der jährliche Gesammtverkehr der Provinz nicht ganz 5 Millionen Rubel. Als er Odessa verließ, im Jahre 1816, hatte die Stadt eine Bevölkerung von 35,000 Seelen, die Postanstalt ertrug 190000 Rubel, die Bank allein setzte 25 Millionen jährlich um, die gesammte Aus- und Einfuhr der Provinz war über 45 Millionen gestiegen. Der Zoll lieferte 2 Millionen in den Staatsschatz. Des Landes Gedeihen war nicht geringer, als das der Hauptstadt. Gegenden, die vor 10 Jahren wüst und menschenleer gewesen, waren belebt mit Kolonisten aus dem Innern, wie aus der Fremde; unter den letztern zählte man 30,000 Deutsche! Blühende Städte und Dörfer, lauter neue Schöpfungen, füllten es an und Alexander gab das öffentliche Zeugniß: Richelieu habe Wunder gethan ohne ein Zauberer zu seyn.

Der Verwaltung Richelieu’s folgte 1815 die seines Freundes, des Generals Langeron. Er führte das Werk der Verbesserung in seinem Geiste fort, wenn auch nicht immer mit gleicher Umsicht und mit dem nämlichen Erfolge. – Als Graf Woronzoff, der jetzige Gouverneur Neu-Rußlands, 1823 die Zügel der Verwaltung erfaßte, war die Einwohnerzahl Odessa’s zwar um nur 4000 gestiegen; aber die Stadt hatte über die Hälfte an Umfang gewonnen und galt damals schon als die schönste in der Südhälfte des ganzen Reichs. Unter Woronzoff haben Größe, Einwohnerzahl, Wohlstand und Handel Odessa’s zugenommen in fortschreitendem Verhältniß, und zu Ende vorigen Jahres zählte der auf hohem Gestade prachtvoll gebaute Ort bereits 62,000 Bewohner, 8000 steinerne in breite Straßen ausgelegte Häuser, nahe an 500 große Magazine und über 1000 offene Läden. Die Zahl der Kirchen hat sich verdoppelt, 24 wissenschaftliche Vereine und höhere Schulanstalten befördern die Bildung nach allen Richtungen, und Theater und Oper fehlen nicht, um Odessa auch in Beziehung auf feinern Lebensgenuß jeder ältern europäischen Hauptstadt gleichzustellen. In der nächsten Umgebung der Stadt zählt man über 1000 größtentheils geschmackvolle Gartenanlagen mit freundlichen Landhäusern und die vierzehn zunächst liegenden Dörfer