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führt uns an den Ort, wo der Wahnsinn des religiösen Aberglaubens seit Jahrtausenden einen immerwährenden Festtag feiert.

Im Herzen Hindostans, am hohen Ufer des majestätischen Ganges, prangt Benares in paradiesischer Gegend. Schon die äußere Erscheinung der heiligen Stadt ist sonderbar und ganz abweichend von der gewöhnlichen. Wie Flammen entsteigen eine Menge vergoldeter Thürme einem unermeßlichen Durcheinander von Häusern und Palmen. Kein Europäer, aber alle Völker des Orients haben sich hier versammelt. Du siehst kein weites Thor, das dich in breite Straßen führe: durch eine hohe, enge und düstere Pforte trittst du in schmale, vielfach sich windende, dunkle und vollgepfropfte Gassen, die so eng sind, daß zwei Palankinträger kaum einander ausweichen können. Die Häuser, gemeinlich niedrig durch ganz Indien, sind hoch und haben hier drei bis fünf Stockwerke, denn der Raum in Benares ist beschränkt und sein Werth unglaublich groß. Alle Häuser sind massiv und verziert mit Verandas, mit Galerieen, gothischen und maurischen Fensterstöcken, mit Vorsprüngen und breitem, überhangendem, künstlich ausgezacktem Dachwerke, und bemalt sind alle Wände mit einem Gewimmel von Menschen, Stieren, Elephanten, Göttern und Göttinnen, hundertköpfigen und hundertarmigen Fratzen, im groteskesten Wechsel und in den lebhaftesten Farben. Weiter ziehst du, und durch eine zweite Pforte betrittst du einen innern Stadttheil. Hier reiht sich Tempel an Tempel, Pagode an Pagode. Wandelnde Betstühle ohne Zahl, mit Götzen-Figuren bemalt und mit Palmenzweigen behangen, verengen den ohnedieß schon engen Weg noch mehr, und eine Unsumme von feisten Stieren, groß und klein, spazieren stolz und genugsam mit der Miene der Herren umher, oder versperren dir, quer über die Gasse gelagert, den Weg. Das Gebot des Schöpfers, das den Menschen zum König einsetzt über die Thiere, dünkt dir hier in umgekehrter Geltung, wenn du Menschen gewahrst, welche knieend die Bestien mit Blumen schmücken, und siehst, wie dein eigener Diener sich ehrerbietig zu dem wiederkäuenden Stiere herabneigt, ihn zart und schmeichelnd zum Aufsteigen zu vermögen. Wehe dir, wenn es dir einfiele, durch einen Stoß oder Tritt die Operation zu beschleunigen; die fanatische Bevölkerung würde dich zerreißen! – Hat deine Geduld dieß überwunden, so betrittst du eine andere Pforte, und eine härtere Prüfung steht ihr bevor. Die Ochsen des Siwa sind verschwunden; aber an ihre Stelle springen und klettern unzählbare Affen, lauter Affenweibchen, dem Gott Hunimauna, jenem Affen heilig, der für Rahmah das Reich des Glaubens durch die Eroberung Ceylons erweiterte. Trotz ihrer Heiligkeit hat dies Völkchen seine diebische und neckende Natur nicht geändert. Sie klettern auf allen Dächern und an allen Fenstern umher, und vor ihren zerzausenden und mausenden Krallen ist nichts sicher. Keinen Augenblick lassen sie dich in Ruhe. Bald langen sie aus verbergendem Schnörkelwerk der Hausverzierungen heraus, dich zu rupfen; bald siehst du sie in alle Obst- und Konfektläden ihre frechen Hände ungestraft strecken, und wenn du was essen magst, so sey gefaßt, daß sie dir den Bissen vom Munde wegreißen. Aber wehe, wenn du sie mit Schlagen