Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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Die Bevölkerung besteht der Hauptmasse nach aus Russen, alten unvermischten Stammes, den ächten Moskowitern. Bauern, Handwerker, vornehme Bürger und Adeliche unterscheiden sich durch ihre Trachten, und das Pittoreske des Lebens und Treibens auf den Straßen wird gesteigert durch die zahlreichen orientalischen Kostüme, welche einem bei jedem Schritte begegnen. Ihre Mannichfaltigkeit und ihre Menge wird durch die Thatsache erklärlich, daß fast alle Nationen Asiens hier ihre Repräsentanten haben, hergelockt durch den Trieb nach Gewinn. Ueber die Hälfte der hiesigen Kaufleute sind Ausländer; meistens Orientalen. Sie sind in Gemeinden vereinigt, und jede Religion genießt hier das Recht freier Uebung. Selbst die Hindus haben ihre Pagode und die Methodisten Neuenglands verehren nahe dabei den alleinigen Gott. Die Britten sind nicht zahlreich; zahlreicher die Deutschen. Jene, wie diese, haben eigene Prediger und Kapellen.
Der Kreml liegt, etwas über die andern Stadttheile erhaben, im Centrum Moskau’s. Mit andern europäischen Herrscherpallästen ist er nicht zu vergleichen; mehr ist er den Residenzen (Serails) der asiatischen Sultane ähnlich; wie diese hat er die Bestimmung zugleich Citadelle und Königsburg, Archiv und Schatzkammer, Zeughaus und Staatsgefängniß zu seyn. Seine Mauern umschließen drei der herrlichsten und heiligsten Tempel der griechischen Christenheit, und zwei Klöster. An Umfang mißt er eine halbe Stunde und seine Größe ist die einer bedeutenden Stadt. Hohe, krenellirte Mauern von erstaunenswürdiger Stärke und Festigkeit umgürten ihn, und durch zahlreiche, Thürme von wunderlicher Form, fest wie Felsen, und voll bombensicherer Gewölbe, wird er vertheidigt. Alle Mauern sind von weißem Gestein; alle Thurmkuppeln vergoldet. Das Innere ist, in viele Höfe getheilt, unregelmäßig, aber durchaus prachtvoll und imponirend.
Eine sonderbare Figur diesem großartigen Verein von Bauwerken des Byzantinisch-Gothischen Geschmacks, macht ein neuer Palast in neu-italischem Styl, die prächtige Wohnung des Kaisers. Wenn das magnifike Gebäude in passender Umgebung stünde, oder für sich und allein, so würde es bewundernswerth seyn; hier wirkt’s blos durch den schneidenden Kontrast zu dem es beherrschenden Ganzen und verletzend und störend auf dessen Einheit und Harmonie.
Unser vortrefflicher Stahlstich gibt von der Hauptfronte des Kremls eine getreue Ansicht. Früher umfloß, in tiefen und breiten Gräben, die Moskwa die ganze Burg; jetzt ist von 3 Seiten her der Strom zugewölbt, und über denselben grünt und blüht ein herrlicher Park, die Lieblingspromenade der Moskauer.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 200. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/210&oldid=- (Version vom 18.8.2024)