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zum öffentlichen Nutzen; z. B. mit denen zur Reinigung der Straßen, zur Begegnung und Verhütung von Brandunglück, der Rettung in Wassernoth etc. etc.

Das neue Universitätsgebäude hat 2 Mill. Rubel gekostet, und das Institut selbst ist ausgestattet mit kaiserlicher Munifizenz. Die Zahl der Professoren ist 30; die der gegenwärtig lesenden[WS 1] Lehrer überhaupt fast 100. Die Frequenz der Studirenden wechselt zwischen 1200 und 2000. Daß Moskau der Hauptsitz des russischen Manufaktur- und Fabrikwesens ist, auch der des Binnenhandels eines unermeßlichen Reichs, ist schon früher erwähnt worden. Der jährliche Kapitalumsatz durch den Handel übersteigt 300 Millionen Rubel. – Moskau ist auch der Centralpunkt der National-Literatur und russischer Bildung; mehr so, als Petersburg, wo durch den Einfluß der vielen dort wohnenden fremden Gelehrten das Cosmopolitische[WS 2] in der Literatur vorherrschend bleibt. Die Hauptwerke in russischer Sprache werden in Moskau gedruckt. Darum ist auch der Buchhandel blühend und die Buchdruckereien sind sehr bedeutend. Sie beschäftigen über 140 Pressen. – Unter den wohlthätigen Anstalten (ihre Anzahl erreicht achtzig), welche die alte Czaarenstadt schmücken, verdient das Findelhaus, wegen seiner Größe und musterhaften Einrichtung, eine besondere Erwähnung. Die meisten der Kinder werden auf das Land an Ammen gegeben, deren Interesse mit der Erhaltung des Lebens der armen Pfleglinge auf das innigste verknüpft wird. Gemeinlich versorgt die Anstalt 33–34000 Kinder, und der jährliche Zuwachs ist zwischen 3 und 4000. Im Hause selbst haben 6000 Kinder Pflege und Unterricht. Zwei Säle und eine Reihe Zellen dienen zur Aufnahme von armen, hülflosen, schwangern Personen. Sie können hier ihre Entbindung abwarten, und für ihre Kinder sorgt dann die Anstalt. So ist schon für die Ungebornen Erbarmen da und Vorsorge getroffen. Den Müttern ist an die Hand gegeben, sich der Anstalt als Amme ihrer – eigenen Kinder zu vermiethen. Darum ist auch die Sterblichkeit unter den Zöglingen dieses Instituts weit geringer, als unter den Zöglingen irgend eines andern ähnlichen in Europa.

Die Moskauer Lebensweise in den höheren Ständen, denen des Adels und der reichen Kaufleute, streift an orientalische Pracht, und ist weit luxuriöser, als in Petersburg. Der gemeine Mann lebt ebenfalls gut; denn der Russe ist arbeitsam, Verdienst ist leicht, Beschäftigung ist reichlich da, und die Lebensmittel sind in mäßigerm Preise, als in den meisten andern Hauptstädten Europa’s. Dennoch klagt man über Theuerung, weil man früher an eine auffallende Wohlfeilheit der alltäglichen Bedürfnisse gewöhnt war. Der so sehr gesteigerte allgemeine Wohlstand (der in der Entschädigung, welche das Reich nach der Zerstörung zahlte, eine Hauptquelle gefunden hat,) und der dadurch veranlaßte größere Luxus haben dieß geändert.

Das Klima ist gesund. Moskau’s Lage auf einer Hochebene ist in dieser Beziehung eine sehr günstige. Die Fruchtbarkeit der Gegend wird gerühmt, und es gedeihen alle Getreide- und Obstarten so gut wie im mittlern Deutschland. Selten sind die Winter strenger als in Berlin.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: esenden
  2. Vorlage: Comopolitische