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verschwendeten, um ihnen das Geständniß, wo Schätze verborgen seyen, abzupressen. – Noch 6 Tage herrschten die Flammen. Endlich (am 21. Sept.) hatten sie ausgetobt, und auch die Plünderer waren müde. Mit dem 1. Oktober stellte sich wieder Ordnung her. Napoleon ritt zur Stätte: – das einst so herrliche Moskau mit den Wohnungen von 350,000 Menschen, 500 christlichen Tempeln und eben so vielen Pallästen, das unermeßliche Vorrathshaus von Lebens- und Kriegsbedarf, von tausendfachen Genußmitteln, war bis auf einen kleinen ärmlichen Rest verzehrt von dem fürchterlichsten der Elemente; und der Eroberer sah sich, statt in einer prachtvollen Stadt, auf einem dampfenden Schutthaufen ohne Ruhestätte, ohne Erquickung, ohne Stützpunkt des Voranschreitens für sich und sein Heer. Dieses, durch die Plünderung demoralisirt, war beladen mit Schätzen; aber mitten unter denselben fehlte es ihm an den nothwendigsten Bedürfnissen des Lebens. Was keine Niederlage vermocht hätte, bewirkte der Metropole Aufopferung. Schreckliche Niedergeschlagenheit bemächtigte sich der Gemüther und weissagete Unglück. Viele Tausende vergeudeten ihre Schätze um den Genuß des Augenblicks und starben in Folge ihrer Ausschweifungen. Der fünfwöchentliche Aufenthalt auf Moskau’s Trümmern kostete Napoleon mehr als die verwüstendste Schlacht, – über 40,000 seiner besten Krieger.

Also entschwand dem neuen Alexander die heißersehnte Siegesfrucht im Augenblick, da er sie erfaßte. Ein Rückzug schien dem Stolzen schimpflich; darum wurde es den Russen leicht, ihn durch Friedensunterhandlungen so lange zu täuschen und so lange zum Bleiben zu verlocken, bis Bleiben und Rückzug gleich unmöglich geworden waren, und beide gleich sicheres Verderben ihm bereiteten. Schon hatte der Winter mit seiner Kälte und seinen Schrecken sich genaht; da brachen die Russen die Friedensunterhandlungen ab, Napoleon die Wahl stellend, auf Moskau’s Aschenhaufen zu verhungern, oder auf denselben Wegen, von wannen er gekommen, durch lauter unwirthbares, verwüstetes und menschenleeres Land, in der schlimmsten Jahreszeit, die Rückkehr zu wagen. Am 19. Oktober (an dem nämlichen Tage, an dem er ein Jahr später den verhängnißvollen Rückzug von Leipzig antrat) setzte sich sein, von Mangel an Lebensmitteln bereits geängstigtes Heer in Bewegung. Mit 180,000 Mann war er eingerückt in der Czaaren Hauptstadt, – nur 120,000 führte er hinaus; demoralisirt, die Bande der Disciplin gelockert, völlig muthlos. Auf 20,000 Wägen schleppten sie die Beute der Plünderung mit fort. Die letzten Colonnen der Armee verließen den Kreml am 25. October. Napoleon hatte befohlen, ihn in die Luft zu sprengen; aber von den schlecht und eilig angelegten Minen zündeten nur wenige, und diese waren zu schwach gegen das riesenstarke Gemäuer. Blos einige Nebengebäude litten oder stürzten ein, Zeugen den nacheilenden Russen von dem bösen Willen der Fliehenden, und zum Racheeifer sie spornend.

Nicht weiter leuchtete Napoleon das Glück. Was aber ferner geschehen, ihm und seinen Armeen, nach dem Abzug aus Moskau, – die Schilderung des furchtbarsten aller Rückzüge und der entsetzlichsten