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schrieb man einen erstickenden Brandgeruch bei, welcher in allen Straßen auffiel. – Aber gegen Abend erhob sich in einem der vornehmsten Stadtviertel eine mächtige Feuersäule. Im Augenblick darauf wirbelten zwanzig auf, bald hundert und an hundert Orten. Ein Blick enthüllte, zum Erstarren des aus der Betrachtung seines Glückes schrecklich erwachenden Kaisers, die entsetzliche Wehranstalt eines verzweifelnden Feindes. Mit Eintritt der Nacht brannte Moskau an fünfhundert Enden.

Vergeblich waren die Befehle Napoleon’s zum Löschen, erfolglos alle Anstrengungen, diese Befehle zu vollziehen. Die Spritzen waren von den Russen weggeführt, Feuereimer, Haken und Leitern vernichtet worden. Selbst das Eindringen in die brennenden Häuser war erschwert, in vielen Fällen sogar unmöglich gemacht; denn die Feueranlegenden hatten alle Eingänge vorsichtig verrammt. – Man versuchte, sie mit Kanonen zu öffnen, und sprengte vergeblich, um der um sich greifenden Brunst Einhalt zu thun, halbe Straßen in die Luft. Bald wogte weithin in dem engen Gassenlabyrinthe ein unendliches Rauch- und Flammenmeer; Rettende und Brandstifter verzehrte oft die nämliche Glut. Als die mit dem Befehl zu löschen in die Stadt vertheilten französischen Heerhaufen die Vergeblichkeit aller Anstrengungen einsahen, ergriff sie die Wuth der Habsucht und sie kämpften nur noch mit den Flammen um den Besitz der Schätze, welche jene zu verzehren drohten. Viele hunderte von Franzosen fanden in diesem Bestreben schon in der ersten Nacht den Tod.

Am folgenden Tage erhob sich ein Sturm, und die drohende Rettungslosigkeit der Stadt wurde bald zur fürchterlichen Gewißheit. Wie die Wogen des Oceans, den der Orkan peitscht, braußten die Flammen um den durch Gärten, Festungswerke und breite Wassergräben von der Stadt geschiedenen Kreml. Von der unerträglichen Hitze sprangen die Scheiben, schmolzen in Napoleon’s Zimmern die Bleieinfassungen der Fenster. Im Kremel selbst brannte es mehrmals; ob durch Ansteckung, ob durch die auf ihn niederregnenden glühenden Trümmer, hat nicht ermittelt werden können. Die Rettung des Kaisers selbst schien in Frage gestellt. Dennoch wich er nicht von der Stelle: – wie festgezaubert hielt ihn der Anblick der Brunst, welche den Preis so großer Anstrengung, so blutiger Siege, so kühnen Wagnisses unaufhaltsam fraß. Endlich, als die Gefahr auf’s Aeußerste gewachsen war und Entsetzen sich eines Jeden in seiner Umgebung bemächtigt hatte, gab er, mehr dem fremden als dem eigenen Willen folgend, das Zeichen zum Aufbruch. – Mit Gefahr des Lebens und nicht ohne den Verlust Mehrerer seines Gefolges, welche von den herabstürzenden Mauern und Gebälken in den brennenden Straßen, die sie durchreiten mußten, erschlagen wurden, erreichte er ein, außerhalb der Stadt, im Freien liegendes, kaiserliches Lustschloß. Aber Moskau, das lodernde, übergab der Erzürnte der Plünderung. „Raubt, da ihr nicht retten könnt!“ – waren seine letzten Worte. Es folgten nun Gräuel auf Gräuel, und von den unglücklichen Zurückgebliebenen, etwa 20,000, zum Theil Kranken, Verwundeten und Greisen, starb die größere Zahl theils in den Flammen, theils unter den Händen ihrer Peiniger, welche alle Martern an sie