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und Kranke in Hospitälern und Bürgerhäusern, alte, schwache Greise auch, die sich, selbst auf Gefahr ihres Lebens, von ihrem geliebten Moskau nicht trennen mochten, – waren die Zurückbleibenden.

Am 15. September gedachte Napoleon in der Hauptstadt der Czaaren das grandiose, Heer-begeisternde Schauspiel zu wiederholen, welches ihm in Wien, in Berlin, in Mailand, als er, an der Spitze seiner siegbekränzten Garden als Eroberer einzog, so gut gelang. Von dem Vorgefallenen hatte er keine Ahnung und er harrte mit seinem Generalstabe ¼ Stunde lang vor den Thoren der Hauptstadt, deren vergoldete Kuppeln in der Morgensonne strahlten, um hier die Abgeordneten zu empfangen, welche ihm die Schlüssel zur Metropole des Reichs und zu den Pforten des Kaiserpallastes im Kreml überbringen sollten. Vergebens. Statt des Jubels eines gaffenden, gedankenlosen, nur den Erfolg bewundernden Volkes; statt der Huldigungen demüthig-bittender Behörden und Magistrate, empfing den stolzen Sieger das Schweigen des Todes. Die Thore fand er offen, die Häuser verschlossen, die Gassen menschenleer.

Schauerlich schallte wieder der Paradeschritt des einziehenden Heeres in den verödeten Straßen, und ernst und schweigend führte es der Kaiser durch die labyrintische Häusermasse auf die Esplanade des Kremlins, dessen heilige Pforten der Fußtritt eines Eroberers noch nie entweiht hatte. – Hier erst zeigte sich Widerstand. Ueber dem goldenen Thor, das kein Russe, sein Kaiser selbst nicht, ohne Entblößung des Hauptes betritt, hatte sich ein Häuflein Fanatiker versammelt, entschlossen, in Vertheidigung des Heiligthums zu sterben. Ihre Flintenschüsse streckten einige Garden nieder. So schwacher Versuch einer Hand voll Rasender hielt die Sieger keinen Augenblick auf. Kanonen öffnen die Thore, Napoleon steht am Ziele seines heißesten Wunsches. Die Pracht-Wohnung der Czaaren nimmt ihn als Eroberer auf.

Aus den Fenstern des Kaiserpallastes im Kreml übersah er die herrliche Stadt, prangend mit tausend Denkmälern der Vergangenheit. Moskau mit den seit Jahrhunderten aufgehäuften Reichthümern war sein und dem mit ihm ziehenden Heere.

Nicht zu berechnen war die Beute, unerschöpflich schien sie. Wohl mochte er sich jetzt, im Besitz der Hülfsquellen, welche ihm Moskau versprach, – Moskau, der Mittelpunkt und das Herz des Reichs, – unüberwindlich fühlen und der Traum eines Weltgebieters ihm Wirklichkeit dünken. Aber wie wunderbar! Dieser nämliche Moment, welcher ihm das berauschende Gefühl der Allmacht spendete, wendete verrätherisch das Rad seines Geschickes. Mit dem Betreten des Kreml’s, ging sein Glücksstern unter.

Schon bei’m Einzuge waren, in undeutlicher Ferne, über entlegenen Häusermassen Rauchsäulen bemerkt worden. Doch achtete man nicht viel darauf, sondern beruhigte sich mit der Vorstellung, es seyen Magazine in den Vorstädten, welche die abziehenden Russen, nach ihrer Gewohnheit, in Brand gesteckt hätten. Der nämlichen Ursache