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durch den kleinen Krieg, Zerstörung der Städte, Dörfer und Vorräthe, um den des Obdachs und der Erhaltungsmittel Beraubten, ohne schnellen Entscheidungskampf, und je weiter er vorrückte, desto sicherer durch die unvermeidliche Noth und durch die Naturkraft zu verderben: – das war der Plan, der Rußland Rettung verhieß und welcher im Rathe des Reichs und der Kriegshäupter von seinem Monarchen angenommen wurde.

Ein großer Plan! Er setzte die heldenmüthigste Selbstaufopferung im Volk voraus, und er ward mit wahrem Heroismus vollzogen. Napoleon, rasch vordringend ohne Hauptschlacht, welcher die Russen auswichen, kam nach Wilna (28. Juni), nach Smolensk (14. August). Rußland’s Heere (zusammen 300,000 Mann) zogen sich zum Theil nordostwärts nach Riga (zum Schutze der Ostseeprovinzen und Petersburg’s), zur größeren Hälfte aber nordöstlich auf Moskau zurück. In Smolensk begann ihr Zerstörungswerk. Sie gaben vor ihrem Abzuge die Stadt den Flammen preis. Dasselbe thaten sie mit den Städten zwischen Smolensk und der Moskwa. Napoleon konnte hieraus folgern, welches Schicksal der Hauptstadt beschieden war, im Fall ihm das Waffenglück solche in die Hände liefern sollte. An der Moskwa erwartete ihn das russische Heer. Die Ehre des Reichs, die Rettung des im unglücklichen Falle der Vernichtung geweiheten Moskau, schien das Wagniß einer Hauptschlacht gebieterisch zu fordern. Sie ward geschlagen am 7. September bei Borodino.

Fünfzig Tausend Krieger fielen im mörderischen Würgen an diesem schrecklichen Tage. Die ungestüme Tapferkeit und größere Kriegskunst von Napoleon’s Heermassen erzwang über die kaltblütige Unerschrockenheit der Russen den Sieg. Diese gingen zurück, und Moskau, das unermeßliche, mit seinen unerschöpflichen Vorräthen, seinem Reichthum und seinen Genüssen glänzte mit seinen vergoldeten Kuppeln den Siegern als lachende Beute entgegen.

Erfassen, nicht festhalten sollten sie dieselbe! Schon vor der Schlacht waren in der ungeheuern Stadt Vorbereitungen getroffen worden, welche das ihr bestimmte Loos ahnen ließen, wenn man es auch nicht laut verkündigte. Gleich nach der Schlacht vollzog man das Vorbereitete, und die ganze Bevölkerung schien von der Nothwendigkeit, die Hauptstadt zu opfern, um das Reich zu retten, heroisch ergriffen. Die Einwohner, drei hundert und vierzig Tausend an der Zahl, zogen aus mit ihrer besten Habe. Die öffentlichen Schätze wurden nach Petersburg geschafft, 20,000 Verwundete in das Innere des Landes geflüchtet, die Gefängnisse geöffnet und 1400 Verbrecher in Ketten auf verschiedenen Wegen tiefer in’s Reich abgeführt. Die Kriegsvorräthe waren schon früher weggebracht worden. Alle Behörden räumten die Stadt. Im Innern der Häuser hing man Pechkränze, häufte man Brandmaterialien auf. Um eine schnelle Verbreitung der Brunst zu begünstigen, wurden in vielen Straßen die Zwischenwände der Häuser durchbrochen. Das russische Heer zog westlich nach Kaluga ab. Moskau war verlassen. Nur der Abschaum des Volks, eine verwegene Rotte, welche, in der Hoffnung auf Raub und Plünderung, die schreckliche Mission des Feueranlegens übernommen hatte, und einige Tausende, nicht fortzuschaffende, schwer Verwundete