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heutigen Kremlin eine Burg erbaute. Georg’s Nachfolger erweiterte dieselbe; er zog Colonisten herbei, und neben der fürstlichen Residenz entstand ein Flecken. Lange blieb er unbedeutend; denn 1303 zählte er erst 1500 Einwohner, obschon Iwan der Erste, der durch die Verwandtschaft mit dem Tartaren-Chan ein größeres Gebiet und den Großfürsten-Titel sich erwarb, Moskau zur bleibenden Residenz erhob, und viel auf dessen Erweiterung verwendete.

Die große Zeit Moskau’s datirt sich erst von der Regierung Iwan des Dritten, mit dem Beinamen der Große. Dieser thatkräftige Fürst befreite ganz Rußland vom Joche der Tartaren und vereinigte es, als erster Czaar (Cäsar, Kaiser) aller Reußen, unter einer Krone. Durch Neubauten und Erweiterungen bekam der Kreml seine jetzige Gestalt. Iwan’s schlaue Politik zwang die Großen des Reichs Moskau zu ihrem Aufenthalt zu erkiesen, wo er sie beobachten und an sich ziehen, oder unschädlich machen konnte. Paläste stiegen nun empor, und prachtvolle Kirchen erhoben sich neben tausenden von hölzernen Häusern, meistens niederigen, dem Bedürfniß der gemeinen Russen zusagenden Wohnungen des Schmutzes, welche selbst jetzt noch in bedeutender Anzahl in Moskau vorhanden sind. Peter der Große, der Regenerator des Reichs, der Mann, der dem slavischen Volke die größte welthistorische Rolle zuwies, welche vielleicht je ein Volk vom Schicksal zu übernehmen hatte, (eine Rolle, die kaum begonnen ist!) baute sein Petersburg, dicht an des Reiches Marken, und, indem er es zur Metropole des Staats und zur Residenz seiner künftigen Beherrscher bestimmte, verkündigte er Europa, was es von Rußland zu erwarten hätte. Dieser Wechsel übte auf die alte Hauptstadt den nachtheiligen Einfluß nicht aus, den man gefürchtet. Zwar war er unstreitig der Zunahme Moskau’s nicht günstig; aber dessen, auf festeren Grundlagen, als auf dem Daseyn eines Hofes, ruhendes Gedeihen blieb im Wachsen, und, als Napoleon der erstaunten Welt anzeigte, er werde ihr, wie Jason einst das goldene Vließ aus Kolchis, das Glück des allgemeinen Friedens aus der alten Czaarenstadt holen, und als er zu dem Zwecke mit 1 Million Kriegern in Rußland eindrang (1812), zählte die Stadt mehr als 350,000 Einwohner und an 10,000 bewohnbare Häuser. Nie vorher war sie so groß, so reich, so blühend gewesen!

Nie auch hatte die Welt ein Heer gesehen, von physischer und moralischer Kraft so gewaltig als jenes, welches Napoleon in den verhängnißvollen russischen Krieg führte. Mit 575,000 Kriegern, der Blüthe aller Völker des westlichen Europa’s, und 1200 Kanonen überschritt er (22. Juni) den Niemen. An der Spitze des Centrums, das 200,000 Mann stark war, drang Napoleon dem Herzen des Reichs zu.

Gegen so überlegene, täglich sich verstärkende Macht, welche die berühmtesten, sieggewohnten Feldherrn des Jahrhunderts unter dem größten Kriegsmeister aller Zeiten leiteten, konnte Rußland sein Heil nur in jenem Vertheidigungssysteme finden, welches schon zur Zeit des Cäsar den Völkern dieser Landstriche (den Skythen) eigenthümlich gewesen war. Vermeidung der offenen Feldschlacht, Rückzug in die unermeßliche Wildniß, Ermüdung des Feindes