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CXXXIII. Moskau, der Kreml.




Bisher entbehrte dieses Werk Bilder aus Rußland’s weitem Reiche. Dem vorliegenden werden wir eine Reihe der schönsten und merkwürdigsten folgen lassen.

Moskau, die Fackel, womit in unsern Tagen die Allmacht dem Welttheile zur Erlösung von einer Sklavenkette leuchtete, ist eine der merkwürdigsten, und, seitdem es wie ein Phönix aus der Asche sich neu erhob, eine der prachtvollsten Städte der Welt. Ihre Bauart, ihre Bevölkerung, die Sitten und Lebensweisen derselben vereinigen, so zu sagen, Europa und Asien. –

Man nennt Moskau, im Gegensatze zu Petersburg, die alte Kapitale Rußland’s. Es ist das eigentliche Herz des Reichs. Aus ihm, dem Mittelpunkt des innern Verkehrs, der Industrie und des Kunstfleißes, dem Lieblingsaufenthalt eines unermeßlich-reichen Adels, welcher hier freier, ungezwungener und unabhängiger leben kann, als in der Kaiserstadt, wo des Herrschers unumschränkte Gewalt und der Glanz seines Hofes Alles herab- und in den Schatten stellt, – strömt das Leben in alle Adern des Staats. Petersburg ist das Putzzimmer der Nation; ihre Wohnstube ist Moskau.

Obschon man Moskau die alte Hauptstadt heißt, so reicht seine Gründung doch nur zum Mittelalter hinan. Lange vorher hatten die sklavischen[WS 1] Völker andere Hauptstädte. Zuerst Nowogorod, das zur Zeit der Gründung der Hansa von fabelhafter Größe, Einwohnerzahl und Reichthum war. Seine Macht wurde sprüchwörtlich. „Wer kann wider Gott und Nowogorod?“ sagte der Russe, wenn er Unmögliches bezeichnen wollte.

Im 11ten Jahrhundert erhob sich Kioff zur Residenz der russischen Herrscher, denen es in dem, nach und nach zu republikanischer Freiheit gelangenden Nowogorod nicht mehr gefiel. Kioff wurde so groß, als jetzt Moskau ist; aber als die russische Monarchie, durch wiederholte Theilung unter die Zweige der herrschenden Dynastie, in eine Menge kleiner Fürstenthümer sich zersplitterte, mußte Kioff’s Bedeutung sinken. Die Uneinigkeit der kleinen Despoten erleichterte den einbrechenden Tartaren die Eroberung ganz Rußland’s, und seine Fürsten sanken zu Vasallen herab. In dieser Epoche, zu Ende des 11ten Jahrhunderts, galt Wladimir als die Hauptstadt. In die nämliche Zeit fällt auch Moskau’s Gründung durch Herzog Georg den Langhändigen, welcher sich (1147) auf der Stelle des

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Gemeint ist wohl: slavischen