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Die Kirche des heiligen Grabes, das ersehnte Ziel so Vieler, umschließt, wie ich bereits früher schon erwähnte, nicht blos die Grabstätte Jesu, sondern auch andere Orte seiner Leidensgeschichte: Golgatha, den Platz, wo Christi Leichnam gesalbt worden, der, wo die heilige Helena das wahre Kreuz gefunden haben soll u. s. w.; auch viele Reliquien, die Säule, woran man Christus band, um ihn zu geißeln, den Stuhl des Pilatus etc. etc. Für die Verehrung der meisten sind besondere Kapellen erbaut, und diese durch Kreuzgänge und Hallen mit einander verbunden. Diese ganze, unregelmäßige, einen Hof umgebende Gebäudemasse ist es, was man unter der gemeinschaftlichen Benennung „Kirche des heiligen Grabes“ begreift.

Die Kirche wird nur an gewissen Tagen den Gläubigen geöffnet; eine lästige Einrichtung, welche nur den Zweck hat, die Wallfahrer zu einer längern Anwesenheit in Jerusalem zu nöthigen. Schon bei’m Eintritt in den Vorhof sieht der Christ so manches, was ihn betrüben und sein religiöses Gefühl auf das empfindlichste kränken muß. Die Mauern, geschwärzt von Rauch, tragen überall noch die Spuren neuerlicher Verwüstung durch das Feuer (die Kirche brannte 1807 aus), und die gemachten Ausbesserungen sind dürftig und geschmacklos. Der schöne Thurm ist eingestürzt und nur noch zur Hälfte übrig. Schutt und Schmutz und ekelhaft riechender Koth liegen in jedem Winkel umher. Den Hofraum füllen Scherbetverkäuferinnen, mit denen Pilger und schmutzige Mönche schmutzige Scherze treiben, und die Habsucht kreischt die auf Teppichen oder breiten Steinen ausgelegten, sogenannten heiligen Waaren, Rosenkränze, Heiligenbilder, geweihete Palmenzweige, Kruzifixe u. s. w., meistens von ordinärer Nürnberger Arbeit, zu prellerischen Preisen, mit gellender Stimme zum Kauf aus. Türkische Wachen spotten und lachen über die Eintretenden, welche in ihrem fremdartigen Anzuge ihnen auffallen, und an der Eingangspforte zum Tempel ist ein furchtbares Gedränge, Balgen und Stoßen um Einlaß; Lachen, Lärmen und Schreien von Wallfahrern beider Geschlechter: – ein Gewühl, das auch die frömmste Begeisterung abzukühlen im Stande ist. Soldaten stehen an der Thüre, die nicht unmittelbar in die Kirche, sondern in eine Art Stube führt, in der türkische Unterbeamte sich aufhalten, welche von jedem Christen für die Erlaubniß, in die Kirche zu treten, ein Kopfgeld erheben. Diese Zöllner begegnen den Tributpflichtigen mit der übermüthigsten Insolenz und oft mit räuberischer Willkühr. Wagt ein Pilger die geringste Vorstellung gegen eine allzu unbillige Forderung, so erwartet ihn thätliche Mißhandlung. – Hat der Pilger sein Kopfgeld bezahlt, so darf er in die Kirche gehen, wo sich Andächtige und Andachtlose in wunderlichen Gruppen drängen. Bewegungslos, das Gesicht auf die Steinplatten gedrückt und die gefalteten Hände vor sich ausstreckend, liegen Viele am Boden; andere stottern in mancherlei Zungen, knieend und sich kreuzigend, Gebete; in den Kreuzgängen wogen, mit Kerzen und Fahnen, Hymnen singend, Prozessionen, angeführt von Priestern der christlichen Hauptsekten, auf und nieder, und dazwischen bewegen sich, fluchend und schimpfend, zur Aufrechthaltung der Ordnung hergesandte Wachen oder neugierige, müßiggehende Türken. Die Prozessionen wandern von Kapelle zu Kapelle, und gar häufig geschieht, daß sie, bei dem Mangel an Uebereinstimmung, Verabredung und Ordnung, irgendwo aufeinander treffen und dann keine der andern