Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band | |
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in todte Formeln verwandelt; – wurde das Gold in Schlacken vergraben, und es übertönten Menschensatzungen den himmlischen Ruf. Oft vermögen wir kaum unter den Auswüchsen der übel gewarteten Pflanze und bei den darauf geimpften, fremdartigen, manchmal giftigen Früchten, die edle Wurzel noch zu erkennen! –
Die Harmonie der Natur verkündet einen höchsten, waltenden Geist. Aber in der Kindheit der Menschheit vermochte der Verstand nicht, sich zur Majestät eines Gottes aufzuschwingen, welcher in allen Naturkräften lebt und mit seiner Gegenwart Himmel und Erde füllt. Eine lange Bahn hatte der Mensch im Dunkel der Geschichte erst zu durchlaufen, ehe er über seinen Zustand überhaupt nur nachzudenken anfing und wahrnahm, daß er höhern und von seinem Willen unabhängigen Mächten unterworfen sey. Die Sonne erleuchtete, erwärmte ihn; das Feuer brannte ihn; der Donner erschreckte ihn. Alles um ihn her wirkte mehr oder minder mächtig auf ihn zurück. Lange war er eine Maschine, die sich diesen Wirkungen, ohne der Ursache nachzuspüren, unterwarf. Spät erst erwachte sein Nachdenken, und eine Reihe von Vernunftschlüssen bahnte zum Begriff höherer Wesen den Weg.
Zuerst, wenn er den Einfluß der Elemente auf sich betrachtete, schloß er auf Schwäche und Unterwürfigkeit bei sich, so wie bei jenen auf Macht und Herrschaft. Und diesen Begriff einer höhern Macht als derjenigen, welche er selbst besaß, war die erste Grundlage von der Vorstellung der Gottheit.
Sodann sah er sich durch die Wirkung der mächtigern Naturkräfte entweder angenehm oder unangenehm erregt. Sie schafften ihm Vergnügen oder Schmerz, Freud oder Leid. Für jene faßte er Liebe, für diese Abneigung; jene nannte er gute, diese böse. Er wünschte oder fürchtete ihre Gegenwart, und so wurden Furcht oder Hoffnung die Grundlage seiner Religionsbegriffe.
In der Folge, weil er über Alles durch Vergleichung urtheilte und in den Aeußerungen der Naturkräfte Abwechselung wie in seinen eigenen bemerkte, vermuthete er als bewegende Ursache eine Seele mit Willen und Verstand von der Art seiner eigenen, und er zog daraus weitere Schlüsse. Aus dem Umgang und der Erfahrung wußte er, daß man durch Ehrfurchtsbezeugungen, Bitten, Geschenke und Dienstleistungen die Stärkern besänftigen, oder sie den Schwächern geneigt machen könne; – er sagte sich, wenn mein Nebenmensch, gewaltiger als ich, mir Uebel zufügen will, so demüthige ich mich vor ihm, und als Lohn meiner Unterwerfung giebt er mir Schutz. Ich werde es mit den unsichtbaren Gewalten über mir eben so machen. Ich will die Geister der Winde, der Sonne, des Mondes, der Sterne, des Wassers, des himmlischen Feuers anrufen, sie bitten, daß sie mir Gutes erzeigen und mich mit Bösem verschonen; ich will die Geister der wilden, reißenden, giftigen Thiere beschwören, daß sie mir keines der Uebel zufügen, die zu thun in ihrer Macht steht. Ich will sie durch mein Bitten, durch meine Unterwerfung rühren, und durch Geschenke für mich einzunehmen suchen. So entstanden die Begriffe von den Genien, von den Göttern; von Verehrung und von Opfern bei den Menschen.
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Dritter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen, Amsterdam und New York 1836, Seite 129. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_3._Band_1836.djvu/139&oldid=- (Version vom 4.8.2024)