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Der Dänen Herrschaft blieb nicht unangefochten. Die Könige von Frankreich, oft mit den Herzogen von Burgund und den deutschen Kaisern im Bunde, machten mehrmalige Versuche, die fremden Eindringlinge wieder zu verjagen. Es gelang nicht; aber das Land ging darüber zu Grunde. Auch Rouen hatte viel zu leiden; 930 und 941 hielt es schwere Belagerungen und Drangsale aus.

Der eroberungssüchtige Wilhelm, Herzog der Normandie, schiffte nach Britannien und stürzte die angelsächsischen sich unter einander befehdenden Fürsten. König von ganz England geworden, verwandelte er seine Erblande in eine Provinz des neuen Reichs. – Unter seinen Nachfolgern erneuerten sich Frankreichs Versuche zur Wiedergewinnung der Normandie mehrmals; doch erst nachdem Dunois, der Bastard, endlich die Britten aus der Normandie vertrieben hatte, blieb Rouen unter französischer Herrschaft. Die Kirchenreformation fand eifrige Anhänger in dieser Stadt, und zu Anfang des 16ten Jahrhunderts bekannte sich der größere Theil der Wohlhabenden und Vornehmen öffentlich zu der gereinigten Lehre. Gewaltsam unterdrückt, wagten die Protestanten einen Aufstand. Sie unterlagen einem gegen sie gesandten Heere, und was dieser Katastrophe entging – etwa 500 Familien – wurde an dem berüchtigten Bartholomäusabende (der pariser Bluthochzeit) erschlagen.

Es folgten nun lange Jahre der Ruhe. Rouen hob sich, anfänglich langsam; aber als es zum Mittelpunkte der Baumwollindustrie Frankreichs emporstieg, rasch. Es galt als die dritte Gewerb- und Handelsstadt Frankreichs, und besaß über 90000 Einwohner, als die Revolution ausbrach. Wie Paris und Lyon war es während der folgenden Schreckenszeit ein Schauplatz der Hungersnoth, der Plünderung und des Blutvergießens. 1200 Bürger fielen unter dem Messer der Guilliotine. Die Volkszahl sank bis auf 65000.

Das Wiederaufblühen der Stadt trifft mit der Herrschaft Napoleon’s zusammen. Dessen Kontinentalsystem war den einheimischen Manufakturen sehr günstig, und Rouen, als ein Centralsitz derselben, konnte nur dabei gewinnen und sich über den Verlust seines Seehandels trösten. Auch diesen besitzt es seit der Restauration wieder. Obschon von dem günstiger gelegenen Havre darin überflügelt, ist er immer noch sehr bedeutend, besonders nach England, den Niederlanden, dem Norden von Deutschland und den Colonien. –

Rouen, durch seine Lage an einem majestätischen Strome, dessen Ufer Schiffbrücken verbinden, und durch die Menge großartiger Bauwerke des Mittelalters herrlich, ist doch im Innern unschön, und die meistens sehr alten und schlecht gebauten Häuser, in vielen schmalen und winklichen Gäßchen zusammenstehend, entbehren das Gemüthliche, was die auch alten deutschen Städte, wie Nürnberg und Köln z. B., so anziehend macht. Die Hauptzierde der Stadt ist die weltberühmte Kathedrale[1], eine der kühnsten und erhabensten architektonischen Ideen, die je die christliche Welt sah. – Sie rührt von einem Deutschen her, und der Wunderbau, der den herrlichsten im Vaterlande,


  1. Sichtbar sind in unserm schönen Stahlstiche die Thürme und der obere Theil des Gebäudes.