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schlauen Priester die Olympier dem alten Sitze und verwiesen sie auf die äußerste Himmelssphäre, den Namen Olympos auch für diesen neuen Wohnort beibehaltend. Indeß galt lange noch der entgötterte Berg für einen Ort von großer Heiligkeit. – Erst in der Blüthenzeit der Griechischen Bildung, wo schon geläuterte Begriffe einer einzigen Gottheit, ihrer Allwissenheit, Allgegenwart, Güte und Gerechtigkeit aus dem Munde der Philosophen in das Volk drangen, nahm die Ehrfurcht vor dem Ursitze des Zeus ab. Sokrates und dessen Nachfolger verbreiteten gereinigte Grundsätze und vor dem Lichte religiöser Aufklärung fiel die starre Glaubenslehre der Priester immer mehr in Mißachtung. Das engverschlungene Mythenknäuel löste unmerklich sich auf. Der erregte Geist des Volks suchte frühere Vorstellungen mit neu gewonnenen Einsichten zu vereinigen. Es gewöhnte sich, in jedem Gotte den andern und in allen einen wieder zu finden und seit ihm durch die Erklärungen der Philosophen auch die Mysterien nicht fremd blieben, sank die Ehrfurcht vor den geheiligten Orten vollends. Schon lange vor dem Eindringen des Christenthums war auch der Nimbus verschwunden, der den Olymp so lange umhüllt hatte. –

– Versetzen wir uns auf seinen Gipfel! welch ein Umblick! Ein Land, die Wiege aller neuern Cultur, breitet sich vor uns aus, in dem ehemals zwanzig berühmte Völkerschaften lebten. Dieß jetzt so entvölkerte Thessalien und jenes verwüstete Hellas, sie zählten einst über hundert mächtige Städte; ihre blühenden Felder waren mit Dörfern und Flecken bedeckt, überall drängten sich Wohnungen, Tempel und die Denkmäler des Gedeihens, des Ueberflusses, der Gesittung und der höchsten geistigen Cultur. – Der Griechen Unternehmungsgeist, ihr Fleiß und ihre Kraft höhlten an diesen Küsten tiefe Häfen aus, trockneten pesthauchende Sümpfe und bedeckten die verödeten Gewässer mit ihren Schiffen, deren Flagge alle damals bekannten Meere beherrschten. Was ist geworden aus alle Diesem in der Spanne Zeit von anderthalb Jahrtausenden, ein Tropfen im Meere der Ewigkeit? Von den meisten Orten der Vorzeit kennt man ihre Stätte nicht mehr. Wilde Thiere hausen in den Ruinen der Paläste der Könige; Heerden weiden auf der Schwelle der eingestürzten Tempel und auf der unwirthlichen Höhe, von wo Zeus seine Blitze schleuderte, forstet sein Adler nur noch. Alt-Griechenland’s ganze gigantische Schöpfung, Zeuge der höchsten Cultur, der Menschheit Stolz, ist bis auf wenige Spuren verschwunden, die den Fußtapfen gleichen, welche ein Riese dem Boden eindrückte, den er vorlängst verlassen! Heilige und gläubige Völker sind jetzt dünn über diese Länder gesäet und die Erde trägt unter ihren Händen nur Dornen und Wermuth. Dem Kriege, der Hungersnoth, der Pest, der fremden Unterdrückung fallen sie fort und fort zum Opfer. Versumpft sind die Küsten und hauchen Seuchen aus; die Häfen sind verschlämmt oder vertrocknet; die wenigen Städte gleichen Skeletten; die allgemeine Armuth ist an die Stelle des Reichthums, Mangel und Entbehrung sind an die des Ueberflusses und der Ueppigkeit getreten, das ganze Land, einst der Schauplatz so vieler Pracht, ist ein Bild der Verödung und des Elends. – Mußte, so fragt der schwache Mensch, betäubt von dem schrecklichen Wechsel, diese Verwandlung seyn? Nein! Nicht Gott hat sie verhängt, nicht