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am Fuße der benachbarten Berge; die glänzende Flockenblume, unter den Kindern der hesperidischen Flora eine der schönsten, wird bei Bellinzona zuerst sichtbar, und viele andere, in den Gewächshäusern des kalten Nordens zur widerlichen Monstruosität verurtheillen Pflanzen, blühen im schönen Stande der Natur hier an den sonnigen Felswänden oder in Zäunen. In dieser reizenden Gegend ahnet der Reisende die Reichthümer, durch welche Flora Italien’s Berge, Thäler, Ebnen und Gärten in prachtvoller Mannichfaltigkeit schmückt, wie er in Valentia’s Gefilden den Reichthum ahnt, den sie über die Palmenländer ausgießt.

Wenn unter den Wasserbecken der Alpen dem Genfersee der Preis der Majestät und Erhabenheit gebührt, so gebühren dem Lago Maggiore und dem See von Como unbestritten der Preis der Schönheit und der Anmuth. Der Maggiore erhält durch fünf kleine, aus den spiegelnden Fluthen emportauchenden Eilande einen eigenthümlichen Reiz. Es sind dieß die gepriesenen Borromäischen Inseln, Eigenthum der uralten Grafenfamilie desselben Namens. Ursprünglich nackte, schroff aus dem See hervortretende, ganz unfruchtbare und schwer zugängliche Felsen, ließ sie ein Borromeo (1670–1680) terrassiren, mit Pflanzenerde bedecken, Gärten und Lustwäldchen von Orangen und Cypressen anpflanzen, anmuthige Villen und prachtvolle Palläste darauf erbauen – und so verwandelten sich die nackten, unwohnlichen Klippen in die reizvollsten Plätzchen, mehr einem Aufenthalt von Feeen, als von Sterblichen vergleichbar. Das Meiste hat die Kunst an Isola Bella (im Bilde das Eiland rechts) gethan. Sie schuf den 120 Fuß hohen Hauptfelsen in zehn, durch magnifike Treppen verbundene, pyramidalisch über einander gereihete Terrassen um, die mit Gärten im Le Notreschen Geschmack, Statuen, Springbrunnen, Bassins u. s. w. verziert sind. Oben auf der Platform steht das Wappensinnbild der Borromäer, ein colossales, geflügeltes Einhorn von Marmor. Diese Höhe beherrscht eine der entzückendsten Aussichten Italien’s. Eines Blicks überschaut man des See’s ganze spiegelnde Fläche mit den tanzenden Schiffchen, dessen Ufer ein Hügelland mit zahllosen Flecken, Dörfern, Landhäusern, Garten, Oliven-, Castanien- und Orangenwäldchen, durch der Reben endlose Laubengänge verbunden, einfaßt. – Die nördlichen Fernen geben den frappantesten Anblick der südlichen Alpenseite, welche schroff und folglich in scharfen Winkeln gegen die Ebene aufsteigt, und darum viel mannichfaltigere und pittoreskere Formen zeigt, als die allmählicher sich erhebende nördliche. Auf der Westseite des Eilands steht der prächtige, doch altväterische Palast der Borromäer. Er ist der Sommeraufenthalt der Besitzer, umgeben von Gartenanlagen im Geschmack der damaligen Zeiten, mit Grotten, Tempeln, einem Theater, Bädern und Allem, was Reichthum und Genußsucht sich verschaffen und wünschen mögen. – Der Palast enthält sehenswerthe Kunstsammlungen, in denen sich schöne Sculpturen von Canova und Thorwaldsen auszeichnen. Gern vergißt man hier den altfränkischen Schnitt des Gewandes um so viel Schönheit und Anmuth.