Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/26

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Schwindelnde Stege, mit Gefahr des Lebens nur für den Fußgänger oder das vorsichtige Saumthier geschickt, gehen im Zickzack über Felsenabhänge, oder an steilen Wänden, mit Bäumen besetzt, hin, oder schäumenden Gießbächen in schauerlichen Felsenschluchten entlang, an Wasserfällen hinab und hinan, oder, auf den gebrechlichsten Brücken, oft nur an einem Seile, an welchem man sich mittels eines in einem Ringe fortbewegenden Korbes hinüberschiebt, über breite Bergspalten und tosende Ströme. – Zu einem solchen Naturgemälde führt den Beschauer unser Stahlstich. Teree (Tiri) ist ein kleiner Flecken in der jetzt unter brittischer Hoheit stehenden Provinz Gurwall, ein Landstrich, der zwischen dem 30. und 31. Breitengrade die Scheidewand von Indien und China ausmacht und innerhalb dessen Grenzen die Schneefelder und Gletscher liegen, denen die zahllosen Quellen des Ganges entströmen. Eine derselben, der wüthenden Bhagrettee strömt unterhalb Teree durch eine tiefe, 10 Meilen lange, schauerliche Kluft dem größern Hauptarme zu. – Wegen der Schaaren von Hindus, welche den Quellen des heiligen Flusses und der Wallfahrtsstätte Almohrah alljährlich zupilgern, hat man seit undenklicher Zeit bei Teree eine jener einfachen Brücken über den Strom gebaut, die dem Europäer die erste Idee zu seiner Kettenbrücke abgaben und aus nichts bestehen, als aus 2 parallel nebeneinander ausgespannten Tauen aus starkem Sumpfgrase, über welche Bambusstäbe und auf diese Schilf gebreitet sind. Auf so gebrechlicher Unterlage müssen Reisende das jenseitige Ufer erreichen! – Der an solche Uebersetzmittel nicht gewöhnte Europäer läßt sich gewöhnlich noch ein drittes Seil in Schulterhöhe über die Brücke spannen, an dem er sich bei’m Uebergehen hält. Im Takt folgt er dann mit seinem Gange der schwingenden Bewegung der ganzen Brücke, welche sein erster Tritt auf dieselbe verursacht. – Es bleibt immer ein Wagstück; und daß ein solches Reisen für den in Indien so bequemen Europäer nichts Einladendes hat, kann man sich denken; dennoch aber werden diese Alpregionen seit einigen Jahren von Engländern häufig besucht, welche in der heißen Jahreszeit die drückende Schwüle und den Gifthauch des üppigen Gangesufers verlassen, um sich hier vor den typhosen, lebenzerstörenden Fiebern der bengalischen Ebene zu schützen. Die armen Bergbewohner sind es dann, welche die fremden Herren ihres Landes die steilen Pfade hinauf zu ihren stillen Asylen geleiten; denn der ostindische Sänftenträger, weicher und bequemer noch wie sein Gebieter, scheut den beschwerlichen und gefahrvollen Weg. Und so ist es nichts seltnes geworden, in jenem fernsten Alpenlande Gesellschaften von Engländern zu begegnen, oder zu hören ihres stolzen RULE BRITANNIA’S Wiederhall von des Himalaya’s ewigen Firsten!