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Fuß hohe, Hügelkette gebildet, welche in einer Entfernung von 30 bis 40 Stunden vom Centralstock des Gebirges es in seiner ganzen südlichen Ausdehnung umsäumt. Die also gebildete erste Terrasse ist die Region undurchdringlicher Wälder mit der üppigsten Vegetation. Vor ihrem Pesthauch ist der Mensch geflohen; sie sind im unbestrittenen Besitz reißender Thiere. – Dann folgt ein zweites Vorgebirge, das eine Terrasse von 1500 Fuß mittlerer Höhe bildet. Auch dieses umläuft die ganze Südseite des Himalaya. Die folgende dritte Kette ist schon Alpe. Bis 7000 Fuß erheben sich ihre Spitzen. Vom Centralgebirge ist sie durch eine in den wunderbarsten Formen zerschnittenen und zerrissenen Landschaft von verschiedener, von 5 bis zu 25 Stunden wechselnder, Breite getrennt.

Erst wenn man diese Bergkette erstiegen hat, stellen des Himalaya’s Riesenmassen in ihrer ganzen überwältigenden Größe dem Auge sich dar und zagend mißt’s im reinen Blau des Aethers die glänzenden Firsten, die sich von dem Plateau des Rückens emporrecken. Zahllos stehen sie da, so weit das Auge nur reicht, wie ein himmelstürmendes Heer von Giganten. Alles Frühergesehene, Erhabene, Große, – das Wunder der europäischen Alpen, der Anblick des Caukasus, der Wiege der Menschheit, – Alles verschwindet und vergeht vor diesem Anblick und der Mensch selbst versinkt gleichsam in Nichts vor der Majestät Dessen, der mit seinem „Werde“ diesen Wunderbau aus dem Nichts hervorrief. Er fühlt’s, er hat die Stufen zum Allerheiligsten im Gottestempel der Natur betreten. –

Die Landschaft selbst, durch die er jetzt wandert, trägt den pittoreskesten Charakter. Von den Gletschern und Schneegipfeln des Centralgebirges, in seiner ganzen Ausdehnung nach Ost und West, stürzen sich reißende, gewaltige Bergströme in engen, tief ausgehöhlten Betten aus festem Urgestein durch furchtbare Klüfte und Abgründe. Steile Felswände steigen lothrecht 1, 2 bis 3000 Fuß hoch an ihnen auf, und die Gewalt ihrer Fluthen wälzt ungeheure Granitblöcke, die sich von den verwitterten Wänden in ihr Bette stürzten, wie leichten Sand oft 10 bis 15 Meilen weit fort. In Wildnissen von Bergtrümmern entspringen heiße Quellen, rauchen warme Seen, oft von den herrlichsten Matten umgeben, auf denen die Bewohner dieser wilden Gegenden, die Ghorkas etc., ihre armseligen Hütten bauten, oder überschattet von hohen Cederfichten und Tannen heiliger Haine, das Ziel pilgernder Hindus aus allen Theilen Hindostan’s. Aber das, was dem europäischen Wanderer in dieser Heimath des uralten indischen Mythen- und Heroencyklus vielleicht am meisten überrascht, ist das plötzliche Wiederfinden der europäischen Pflanzenwelt, nur in weit prangendern, vollkommneren, schönern, ausgebildetern Formen. Die europäischen Getraidearten wachsen hier wild, Aepfel, Birnen, Aprikosen, Pfirschen, Pflaumen und Kirschen, Erd-, Him- und Stachelbeeren, Kartoffeln und Rüben findet er an jedem Abhange, in jedem Gärtchen einer Hütte; und aus den blühenden Obstbäumen und duftenden Rosenhecken begrüßen ihn der Nachtigall und der Singdrossel wohlbekannte Stimmen.