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nichts von seiner Größe. Die Arbeiten blieben liegen und Vieles verdarb wieder. Erst vor 8 Jahren wurde der Ausbau der Straße vorgenommen. Vollendet ist sie jetzt eine der bewundernswürdigsten Werke der Wegebaukunst, werth neben der Simplon- und Cenis-Straße genannt zu werden, und des großen Geistes, der sie entwarf und begann, ganz würdig.

Ihr bei weitem interessantester Theil ist die Strecke zwischen Genua und Nizza, wo die Arme der Hochalpen sich bald als schwarze Felsenmassen mit glatten, oder schluchten-gefurchten Häuptern, bald als wellenförmige, waldbewachsene Hügelketten zum Meere hinziehen. An manchen Stellen steigen die Bergwände 2000 Fuß hoch senkrecht zu den Fluthen hinab, und während der Reisende auf festen Felsenstirnen wandert, von Fischadlern umschwebt, – hört er das dumpfe Toben der Wogen unter seinen Füßen. Einen ganz eigenthümlichen, den Pässen über das Hochgebirge landeinwärts unbekannten Reiz hat diese Alpenstraße durch die weite und bezaubernde Aussicht auf das Weltmeer, dessen Anblick dem Reisenden fast immer zur Seite bleibt.

Die Brücke St. Louis, nahe bei’m Dorfe Mortolo, einige Stunden von Nizza, ist der berühmteste Punkt des Wegs und in Bezug auf Kühnheit und einfacher Grandiosität der Bauart ist es ein unvergleichliches Werk. – Eine furchtbare Schlucht von mehren hundert Fuß Tiefe überspannend, schreitet es in seinem blendenden Marmorgewande wie ein Wesen der Feenwelt über die Felsenzacken hin. – Napoleon selbst skizzirte an Ort und Stelle den Entwurf zur Brücke, nach dem sie nachher aufgeführt wurde; und sie trägt des Imperators Gepräge, wenn auch die Wiedertaufe der Restauration seinen Namen längst von ihr gewischt hat. – In der Nähe ist ein schönes Echo und kein Maulthiertreiber, oder Kärner, zieht des Weges, ohne ihrem Erbauer ein „VIVA!“ zu bringen, welches die Felsen hundertstimmig zurückwerfen, bis es sich, wie ein leises Murmeln, im Gebirge verliert.




LXXXXI. Der Libanon.




Vor uns erhebt sich die mit Schnee bedeckte Kette des majestätischen Libanon, dessen Ruhm so alt ist, als die Bibel. Dieses merkwürdige Gebirge ist das höchste in Syrien und macht die Nordgrenze Palästina’s. 10,000 Fuß hoch steigen seine Gipfel empor und auf ihren Firsten herrscht ewiger Winter. Des Gebirges Länge ist etwa 20 Stunden. Es läuft parallel mit dem Meere hin und landeinwärts wird es durch ein tiefes, romantisches Thal vom Antilibanon geschieden, einem ähnlichen Bergrücken von etwas geringerer Höhe.

Unsere Ansicht ist von einem Cap in der Nähe des Städtchens Bayruth (das alte Berytus) aufgenommen, von welchem man das Meer und die ganze Libanonkette eines Blicks überschaut. Die niedrigern Abhänge der letztern