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Betrachten der Schicksale der Reiche und Völker so gern geneigt, in ihnen Umwälzungen zu sehen ohne Absicht. Aber dem ist nicht so. Die Kette der Bildung macht aus diesen Trümmern ein Ganzes, in welchem zwar Menschengestalten verschwinden, aber der Menschengeist unsterblich und fortwirkend lebt. Wer sie sieht, diese Kette, die vom Throne der Gottheit ausgeht und die Erde umschlingt, sieht nicht mehr in der Weltgeschichte nur ein wirres Knäuel der Verwüstung. Es beunruhigt ihn nicht mehr, wenn er im Verfolg der Aeonen die herrlichsten Menschenwerke zertrümmern, und vieles Gold in den Schlamm der Vergessenheit versinken sieht; denn er sieht ein, Zerbrechlichkeit auch der schönsten Werke ist von ihrer Materie unzertrennlich, und das Wandelbare in der Gestalt aller menschlichen Wirkung liegt nothwendig im Plane des Schöpfers, weil Alles, was im Strome der Generationen von den Händen der Zeit für die Zeit errichtet wird, augenblicklich der Nachwelt verderblich werden müßte, sobald es durch ewige Dauer neues Bestreben unnöthig machte oder aufhielt. – Leser! gewinne, und du kannst es, eine solche Anschauung der menschlichen Dinge, und die Vergänglichkeit derselben wird dich nicht mehr erschrecken. – Ruhig wirst du dann zusehen dem ewigen Wechsel und das scheinbar Vergebliche im menschlichen Mühen wird verschwinden; denn du weißt, was der Mensch für den Zweck: Menschenbildung, Brauchbares schafft, das rettet die Vorsehung immer in andern Gestalten, – es bleibt erhalten für alle Zeiten.




LXXXVIII. Oporto.




Im romantischen Thale des Duero, unfern an dessen Ausmündung in den atlantischen Ozean, liegt Oporto, die Hauptstadt des nördlichen Portugals, die zweite des Königreichs. 15,000 Häuser, mehr als 100 Kirchen und Klöster und 80 Paläste bedecken die beiden Gestade des Flusses und krönen, in reizender Abwechselung, die nahen Hügel.

Vorzüglich schön von der Seeseite her ist die Ansicht. So wie man die Barre (ein mit Sandbänken umgebener, die Mündung des Duero bis auf ein enges Fahrwasser umlagernder Felsenriff) und ihre Gefahren passirt hat und in den Duero eingesegelt ist, bieten sich dem Auge rechts und links die lieblichsten und großartigsten Szenerien in großer Mannichfaltigkeit dar. Der majestätische Strom erweitert sich zu einem See, den niedrige Hügel einfassen, von denen Quinta’s (die Sommerwohnungen der Reichen Oporto’s), Dörfer und Flecken, Klöster und Kapellen herabschauen. Nach einer kurzen Fahrt ziehen sich beide Ufer des Flusses enger zusammen und die Hügel thürmen sich zu Bergen auf, deren Wände an vielen Stellen so schroff zu dem Flusse hinabsteigen, daß sie kaum Raum