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elendes Leben führten. – 150 Jahre später gedenkt ihrer auf’s Neue der arabische Geograph Abulfede als: „Thadmor, Salomo’s Stadt, die entblätterte, weiße Rose des Sandes.“ Indessen hatten mährchenhafte Sagen von der Pracht jener in der Wüste verborgenen Ruinen die Wißbegierde in Europa auf das höchste gespannt. 1678 unternahmen einige Engländer von Aleppo aus zur Auffindung Palmyra’s eine besondere Reise. Glücklich erreichten sie ihren Zweck, und durch sie wurden die ersten glaubwürdigen Berichte über den merkwürdigen Ort bekannt. Die Britten fanden die Ruinen fast in demselben Zustande, in dem wir sie heute noch sehen, mit Ausnahme der Trümmer des großen Sonnentempels, welchen der Pascha von Bagdad in eine Cidatelle verwandelt und mit einigen hundert Türken besetzt hatte, in der Absicht, die unabhängigen Beduinenstämme zu zügeln, die öfters Einfälle jenseits des Euphrats machten. Dieser letzte Versuch zu einer bleibenden Ansiedelung in Thadmor dauerte nicht lange. Schon die nächstfolgenden Reisenden fanden die Veste zerstört und verlassen, und seitdem ist Palmyra die Wohnung der Raubthiere und der gelegentliche Lagerplatz der Beduinen geblieben.

Eine Einzelbeschreibung der Ruinen würde den Raum eines Bandes erfordern; wir müssen folglich darauf verzichten. – Aber wenn wir uns vorstellen, daß diese zusammengehäuften Massen von Marmor einst regelmäßige Palläste bildeten; jener prächtige Portikus mit einer 4000 Fuß langen Säulenhalle den Zugang zu einem Tempel der Gottheit; daß diese umgestürzten Säulen der Schmuck öffentlicher Plätze waren, wo ein freies Volk sich über sein Wohl berieth und patriotische Redner es zu heroischen Entschlüssen begeisterten; wenn wir uns diese eingesunkenen Gallerien als die Einfassungen von Marktplätzen denken, und unter ihnen die Kaufleute des Orients versammelt, zu tauschen den Purpur von Tyrus, die Gürtel von Cachemire, die lydischen Teppiche, die Perlen und die Spezereien Arabiens und das Gold von Ophir gegen die Waaren des Abendlandes: das Zinn Brittaniens, den Bernstein der Ostsee, Carthaginensischen Schmuck und römische Waffen; – wenn wir diese verschütteten Straßen, in denen die Hyäne jetzt schleicht, beseelt uns vorstellen durch ein zahlreiches Volk, dessen schöpferische Thätigkeit und Erfindungskraft die Reichthümer aller Himmelsstriche bei sich versammelten, und diese schauerliche Oede in blühende Gärten und Haine verwandelten; – wenn wir jene prächtigen Trümmer von Brunnen betrachten, die unterirdischen Kanäle, die des Euphrats befruchtende Fluthen durch die Wüste führten, und die zahllosen Bogen, auf welchen Aquadukte erfrischendes Quellwasser von den fernen Höhen in die Mitte der Palmenstadt trugen: wenn wir uns zugleich erinnern, daß kein Staat, der seine Unterthanen nach Millionen zählt, es war, der alle diese ungeheuern Arbeiten für gemeinen Nutzen schuf, sondern die freien Bürger es waren einer einzigen Stadt: dann kämpfen Bewunderung und Wehmuth in unserm Herzen und der Blick ruht voll Trauer auf diesen Trümmern. Die Frage: Müssen so die herrlichsten Werke der Menschen untergehen, und mit ihnen so die Völker, die sie erschufen? führt uns, tausend andere weckend, unwillkührlich in ein Meer der Betrachtung, in dem der Geist zagend und zweifelnd schifft und leicht sich verliert. Wie wir in den Revolutionen der Erde nur Trümmer auf Trümmer sehen, ewige Anfänge ohne Ende, so sind wir auch bei dem