Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band | |
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Schicksale nun gänzlich im Dunkeln. Erst zur Römerzeit, hundert Jahre vor Christus, erwähnt sie Thadmors von neuem. Wir erfahren, daß Marcus Antonius, der römische Feldherr, es einnahm und plünderte, zur Züchtigung, daß es den Parthern Beistand geleistet, gegen welche die Republik damals Krieg führte. Wegen seines Reichthums, sagt ein gleichzeitiger Schriftsteller, zog der römische, beutesüchtige Soldat zu seiner Belagerung wie zu einem Feste aus; aber die Erwartungen desselben wurden getäuscht; denn die Einwohner flüchteten frühzeitig mit ihren Schätzen in das Innere der Wüste und über den Euphrat, und das Römerheer fand die Stadt leer und verlassen.
Nach dieser zweiten Katastrophe hören wir nichts von der Metropole der Wüste bis um das Jahr 300 unserer Zeitrechnung. Da zeigt sie sich wieder, in Glanz und Herrlichkeit strahlend, und Palmyra und seine gewählte Königin, die heldenmüthige Zenobia, werden während der Regierung des Gallienus und Aurelian zu hervorragenden Gestalten in der Geschichte des Weltreichs. So hoch war der Sinn für die Erhaltung der Unabhängigkeit in dieser Stadt, so groß war auch das Gefühl ihrer Macht geworden, daß, als Rom Unterwerfung forderte, sie diesem allgewaltigen Riesen den Fehdehandschuh zum Kampf um Leben und Daseyn hinwarf. In diesem Heldenstreite, an Großthaten reicher als der Karthago’s, unterlag Palmyra nach langem Ringen. Aurelian eroberte es mit stürmender Hand, rottete seine Vertheidiger aus, gab es seinen Legionen zur Plünderung, dann den Flammen hin und machte seine Mauern der Erde gleich: die gefangene Zenobia aber führte er im Triumph nach Rom.
Palmyra erstand nach diesem Falle nicht wieder! Zwar überkam den Kaiser später die Reue über das vandalische Zerstören der herrlichsten Stadt der Erde, und er erließ ein Edikt, durch das er den Aufbau und die Wiederbevölkerung derselben befahl; aber Zerstören ist leichter als Wiederaufbauen. Statt der ausgetilgten Bewohner, deren Kunstfleiß und Handel, Reichthum und Gemeingeist alles Große und Bewundernswürdige in Thadmor geschaffen hatten, kam zur Neuansiedelung Gesindel her aus allerhand Volk, besonders viele vertriebene Hebräer, die, statt wieder aufzubauen, durch den Verkauf der aus dem Schutt hervorgesuchten Kunstwerke, Ornamente etc. in die benachbarten Städte, das Werk der Zerstörung von Jahr zu Jahr immer mehr vollendeten. Ihren gänzlichen Untergang beschleunigte der Verfall von Roms Macht in diesen Gegenden, welcher bald darauf eintrat.
Syrien wurde während dieser Periode der Schauplatz verwüstender Kriege, und das hülflose, preisgegebene Palmyra ward in diesen Stürmen von seinen Bewohnern verlassen. Der Sand der Wüste begrub seine verödeten Felder, – es verscholl.
Fast tausend Jahre lang war nun Thadmor’s Daseyn vergessen, und erst im 13ten Jahrhundert nennt es zuerst wieder ein jüdischer Reisebeschreiber. Dieser erzählt, er habe mitten in der syrischen Wüste eine unermeßliche Stadt aus Marmor gefunden, und in derselben eine Colonie seiner Landsleute, die dort seit langen Jahren ein einsames,
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Zweiter Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1835, Seite 180. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_2._Band_6._Auflage_1835.djvu/188&oldid=- (Version vom 27.6.2024)