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LXXXI. Madras.




Es war im Jahre 1645, als der damalige König von Bisnagor einer Gesellschaft nach Ostindien handelnder brittischer Kaufleuten, die unter dem Titel: Ostindische Kompagnie ihre Geschäfte zu Anfang des Jahrhunderts mit 200,000 Thalern begonnen hatte, das Städtchen Tschinnoptnam einräumte, um für Handelszwecke eine Faktorei daselbst zu gründen. Die Engländer bauten sich Magazine, später zu deren Schutz eine kleine Veste, und nannten den Platz Madras. Dies ist der erste Anfang von dem Reiche der Britten im Orient, welches, nach China das größte der Welt, sich in einer Ausdehnung von sechzig tausend geogr. Quadratmeilen über die schönsten und gesegnetsten Länder Asiens, von der Südspitze der Malayischen Halbinsel bis zum persischen Meerbusen und zum Hochrücken des Himmalajah hin erstreckt, und eine Bevölkerung von 135 Millionen in sich faßt, von denen an hundert Mill. unmittelbar, die übrigen unter zinsbaren Fürsten dem brittischen Scepter gehorchen. Seitdem die Herrschaft desselben gesichert ist, breiten sich abendländische Sitten, Gesetze und Wissen unter den Völkern des Ostens allmählich aus, und die Cultur hat ihren zweiten Kreislauf um das Erdrund begonnen. –

Rasch wie die Macht der Britten im Lande wuchs, wuchs und gedieh auch der kleine Ort, wo zuerst sie keimte. Anderthalb Jahrhunderte ununterbrochenen Gedeihens machten aus der Faktorei eine der herrlichsten und größten Städte Indiens; und obschon Madras seit langer Zeit den Vortheil, Centralplatz des mächtigsten Reichs zu seyn, an das günstiger gelegene Calkutta verlor, und von diesem an Größe und Volkszahl dreimal überboten wird, so nimmt es doch von Jahr zu Jahr zu, und jedes Lustrum mehrt seine Einwohnerzahl um mehr als zehntausend.

Gegenwärtig hat Madras (dessen Lage auf einer niedrigen, sandigen, dem Sturm ausgesetzten Küste nichts weniger als schön ist) 40,000 Häuser, von mehr als 350,000 Menschen bewohnt. Die Stadt trennt sich durch eine Esplanade in 2 Theile, die weiße und die schwarze genannt. Jene ist ausschließlich von Europäern bewohnt, prächtig gebaut, mit breiten Straßen und weiten, von Palmenwäldchen, in denen Springbrunnen eine stete Kühlung unterhalten, beschatteten, öffentlichen Plätzen. Das Gouvernementgebäude, neu-italienischen Styls, ist von ungeheurem Umfang und nimmt eine ganze Seite des Exerzierplatzes ein, auf dem 10,000 Mann manövriren können. Der übrige Raum dieses Platzes wird durch andere Regierungsgebäude eingeschlossen. Die Episkopalkirche, von Marmor, mit herrlichem Portikus und in der Form eines griechischen Tempels, ist die schönste christliche Kirche in ganz