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eigenthümliche Schönheiten. – Es ist nichts Ungewöhnliches, in Interlaken während der Saison einen Kreis der ausgezeichnetsten Männer Brittaniens anzutreffen. Byron, der hier einen Sommer zubrachte und in dieser Gegend die Urbilder fand für seine grandiosen und ergreifenden Beschreibungen der Alpen in Childe-Harold und Manfred – lebt mit seiner Gutmüthigkeit, mit seiner Verschwendung und seinen exzentrischen Streichen noch in Aller Andenken fort.

Das Volk, welches diese Gegend bewohnt, vermehrt ihre Reize. Unter einer freien Verfassung und fast ohne Abgaben, lebt der Berner Aelpner, und fast ohne Ausnahme, im Wohlstand. Es ist ein Menschenschlag, dem die Freiheit seit vier Jahrhunderten ihr eigenthümliches Gepräge – Schönheit, Stärke und edlen Anstand – aufgedrückt hat, und es ist etwas Alltägliches, Hirten und Sennerinnen zu begegnen, die an die Zeiten erinnern, da junge Helden, oder die Töchter der Fürsten, es nicht unter ihrer Würde achteten, am umwölkten Olymp die väterliche Heerde zu hüten.




LXXIX. Der Theseus-Tempel bei Athen.




Athen hat keine Aehnlichkeit mit den andern Königsstädten unsrer Tage. Die Pracht, den Glanz, das Geräusch und Leben der Residenzen suche man nicht in seinen Mauern. Schweigen, Einsamkeit und Verwüstung ist sein Gepräge, und was bisher von seinem Könige geschah, um dieß Gepräge zu verwischen: das Ansiedeln der Beamten und Fremden, das Garnisoniren seiner baierischen Krieger, die Errichtung einiger Gebäude zu Regierungszwecken, ist im Ganzen zu unbedeutend und dient mehr dazu, durch den Kontrast jenes schärfer hervorzuheben. Noch liegen hunderte von Häusern in Schutt, noch sind ganze Straßen ungangbar ob der Verwüstung aus dem letzten Kriege. Ueber die Akropolis hinaus scheint das Menschengeschlecht fast aufzuhören. Keine Ackerleute, kein Heerdengebrüll, keine Dörfer. Nur wenige verfallene Pachthöfe zeigen sich auf den nackten Gefilden; zunächst der Stadt einige alte Hütten, einige Heuschuppen, Gärten und einsame Weinberge.

Mitten auf diesem verwilderten Boden erheben sich die Denkmäler der alten Athenae wie Schatten eines untergegangenen Heroengeschlechts. Ihres Schmucks beraubt, scheinen sie sich in ihrem Stolze ganz abgeschieden zu haben und gleich Königen, die vom Throne gefallen, ihr Unglück in der Einsamkeit bergen zu wollen. Die