Seite:Meyers Universum 2. Band 6. Auflage 1835.djvu/136

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

Eines der auffallendsten, für unser Vaterland wichtigsten Resultate der Dampfschiffahrt hat die erst im vorigen Jahre eingerichtete direkte Verbindung zwischen der Elbe und Seine geliefert. Durch sie sind die Nordküsten Deutschlands und Frankreichs einander so nahe gebracht, daß der ganze Norden Europa’s jetzt den kürzesten Weg nach Frankreichs Hauptstadt über Hamburg zu suchen hat. Man legt eine Seereise von 150 deutschen Meilen (von Hamburg bis Havre) in 50 Stunden zurück. Es ist eine der angenehmsten Fahrten. Niemals fehlt’s auf ihr den Reisenden an Unterhaltung. Bald gibt sie das Begegnen von Schiffen, die entweder pfeilschnell nahe vorüber segeln, oder wie weiße Wölkchen am Horizonte sich zeigen und verschwinden; bald ergötzt das Erspähen der Küsten, erst Deutschlands, dann Hollands, dann Belgiens, dann Englands und Frankreichs, die zuweilen sich nur wie kommende und vergehende Nebel darstellen, zuweilen wie Wolkenstreifen, zuweilen auch in kenntlichen Umrissen hervortreten, mit Höhe und Tiefe und aller Färbung des Lichts; unvergleichlich schön bei der Durchfahrt des Kanals zwischen Boulogne und Dover. Und gegen das Ende gewinnt die Fahrt den höchsten Reiz durch das herrliche Küstenpanorama der Bretagne, dessen hohe Kreidefelsen, grotesk gestaltet, wie Riesen erscheinen, die mit der gewaltigen Brandung des Ozeans kämpfen.

Dieppe vorbei biegt die Küste nach Süden um, und plötzlich zeigt ihre Felsenmauer eine große, 5 Stunden breite Lücke, in welche das Meer tief in’s Land hinein zu strömen scheint. Dieß ist die Mündung der Seine. Bald entdeckt man links die Thürme und Häuserreihen von Havre, der Reise Ziel, – rechts das uralte Honfleur malerisch am Fuße eines hohen, bewaldeten Vorgebirgs. – Kaum beleben ein paar armselige Fischerfahrzeuge seinen ahnsehnlichen, aber versandeten, Hafen, und der Handel, der es einst berühmt und reich machte, ist längst auf das entgegengesetzte Ufer geflohen, wo Mast an Mast und Bord an Bord sich drängen. – Das verlassene Honfleur zählt jetzt kaum 9000 Einwohner. Das Innere der Stadt trägt den Charakter der Oede und Verarmung und tritt in den schneidendsten Contrast zu der Herrlichkeit seiner Lage und der Heiterkeit seiner äußern Umgebung.




LXXV. Der Niagara-Fall.




Das Innere von Nordamerika ist eine Hochebene, von der unzählige Flüsse herabfließen. Die östlich strömenden sammeln sich in und um Canada in fünf weiten Landtiefen, und bilden so die größten Seen der Erde: den Oberen,