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Kultur, nur die traurigen Symbole der Despotie und Sclaverei, des vollständigsten Sieges der List und Gewalt Einzelner über die schwache, zur Gedankenlosigkeit erzogenen rohen Menge: so kann er Lissabon nicht schauen, ohne daß ähnliche niederdrückende Empfindungen in ihm rege werden. Er gedenkt der Zeit, als Lissabon der Sitz der europäischen Kultur war, als die edelsten Eigenschaften, welche den Menschen zieren, hier, unter seinen Einwohnern, häufiger als irgendwo Ausbildung erhielten; als Heldenmuth und Vaterlandsliebe seine Bürger zu Großthaten begeisterten, als ihr Unternehmungsgeist vorher unbekannte Länder und Meere entdeckte und durchschiffte, und in den fernsten Welttheilen Königreiche dem Vaterlande zinsbar machte; – der Zeit, als das kleine Portugal in der politischen Waagschale der Reiche die Rolle Venedig’s übernahm und alle Macht in sich vereinigte, die der Besitz des Welthandels und seiner Reichthümer gewährt. – Vergleicht er das Lissabon von damals mit dem von jetzt, so gemahnt’s ihm nur noch wie ein Riesenschatten vergangener Wirklichkeit und die prachtvollen Klöster und Abteien, welche so malerisch seine Hügel zieren, erscheinen ihm wie ungeheuere Buchstaben, die, zum Worte vereint, den Fluch ausdrücken, welcher auf diesem gesegneten Lande lastet.

Ehe die Jesuiten, zwar nicht dem Namen, aber der That nach, Jahrhunderte lang Portugal’s Thron beherrschten; ehe die schlaue, tiefe, selbstsüchtige Politik dieser Priester das hochherzigste, freiheitssinnigste, unterrichtetste und gewerbfleißigste Volk in den faulsten, unwissendsten, stupidesten und bigottesten Menschenhaufen der Erde verwandelte; – damals, im sechzehnten Jahrhunderte, bedeckten 56,000 Häuser diese hesperidischen Hügel und 600,000 Einwohner belebten sie. Mit 2000 eigenen Schiffen befuhren die Lissaboner Kaufleute, reich und stolz wie Könige, alle Meere der Erde, und die Schätze und die Erzeugnisse des Portugal meist zinsbaren Indien’s und Afrika’s, die von China und Japan, fielen ihm ausschließlich zu. Die portugiesische Flagge wehete in allen Häfen, Lissabon’s Seefahrer erfüllten die Welt mit ihrem Ruhm, seine Helden stritten für des Vaterlandes Ehre in Asien und am Congo und besangen zugleich ihre und ihrer Genossen Großthaten in unsterblichen Liedern. Sprüchwörtlich war Lusitanische Hochherzigkeit und Lusitanischer Unternehmungsgeist unter allen Völkern geworden. – Zwei Jahrhunderte der Jesuiten-Erziehung genügten, um Alles dieß in Gegensätze zu verwandeln. Aus Manufakturen und Fabriken sind Klöster geworden; wo der Fleiß wohnte, haußt die Faulheit; der portugiesischen Schiffahrer Ruhm ist verschollen; Portugal’s Flagge ist unbekannt geworden auf den meisten Meeren; Indien und Afrika gehorchen Lusitanien’s Zepter nicht mehr; Lissabon selbst ist zum Theil verödet; Gärten und Parkanlagen grünen auf Marktplätzen, der Weinstock auf dem Schutte von Straßen, und die Volksmenge der Königsstadt ist unter 200,000 gesunken. Fremde Kaufleute beuten die Vortheile ihrer herrlichen Handelslage aus und die brittische Flotte wiegt sich, mit dem Stolze des Herrschers, auf des Tajo’s wogendem Busen; das Volk aber, dumpfsinnig gehorcht’s, wie eine Viehheerde, den