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Ein schmaler Seitenpfad führt uns hin, wo ein freundlicher Empfang und Erquickung uns erwarten. In’s Fremdenbuch schreiben wir unsern Namen, wie die unzähligen Reisenden, die vor uns das Nämliche thaten. Nachdem wir ausgeruht, geleitet uns ein Einsiedler zurück bis dahin, wo der Pfad nach seiner Hütte vom Wege ablenkte und erwiedert unsern Dank und unser Lebewohl mit seinem Segen.

Gestärkt setzen wir unsere Wanderung fort, dem rauchenden Gipfel zu. Welche Oede! Der Mensch ausgenommen und die ihm als Sklaven dienenden Thiere, betritt kein lebendes Geschöpf diesen Boden.

Der Fuß des Kegels ist erreicht. Wir steigen von unsern Maulthieren. Unser Führer gibt uns einen langen Stock, und wir fangen an, den ungeheuern Aschenhaufen hinan zu klimmen, der, zum Berge aufgethürmt, den Krater umschließt. –

Es ist eine mühsame Arbeit. Nicht sowohl ob der Steilheit der Wände, sondern wegen der Unsicherheit des Trittes, der auf den rollenden Schlacken und in der beweglichen Asche nirgends haftet. Nach viertelstündigem Klettern erreichen wir den 3700 Fuß hohen Gipfel und stehen auf dem Rande des furchtbaren Feuerschlundes, welcher sich, trichterförmig, 500 Fuß tief, hinabsenkt. Wenn, wie es öfters der Fall ist, nicht Rauch- und Nebelwolken den Vesuv von dem bezaubernden Gelände an seinem Fuße trennen, genießt man von dieser Höhe den Anblick einer der schönsten Landschaften der Erde. Aber das Grauen, welches der Ort, an dem wir uns befinden, einflößt, wird nicht gemildert durch jenen Anblick.

Doch, gespornt von der Lust am Schauerlichen und von der Wißbegierde Stachel, fassen wir den Entschluß, in den Schlund hinab zu steigen. Es ist beschwerlich genug, aber keineswegs gefährlich; denn selbst in dem Fall, daß man von einem Ausbruche überrascht würde, (ein Fall, der unter Hunderttausenden vielleicht einmal eintritt) könnte man sich, würde man nicht mit dem Auswurf herausgeschleudert, immer noch retten. Die Lava fließt nämlich sehr langsam – und es ist nichts leichter, als ihrem Strome auszuweichen. Darum ist auch der Besuch der Kratertiefe etwas Alltägliches geworden.

Wir gehen am Rande des Abgrundes hin, um den Pfad zu suchen, der am mindesten steil hinabführt. Der Führer bezeichnet ihn. Wir steigen hinab. – –

Wir sind in der Tiefe des Schlundes. – Wie könnte ich dieses Chaos schildern! Man denke sich ein Becken von ½ Stunde in Umfange und 500 Fuß hohen Wänden, in Form einer umgestürzten Pyramide. Die Feuerströme der jüngsten Ausbrüche haben die Seiten tief gefurcht und auf großen Strecken in die seltsamsten Gestalten zerrissen. Manche solcher Stellen gleichen Ruinen, andere Thier-Ungeheuern, andere wieder Felsen mit Grotten und Höhlen. Unförmliche schwarze Steintrümmer, an denen Lavaklumpen hängen, oder die die Gluth zum Theil verglaßt hat, bedecken den Boden des Abgrundes.