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Römerstädte ist eine besondere Beschreibung in unserm Werke vorbehalten. – Begleite uns jetzt der Leser auf den Vesuv. – Zuerst gelangen wir nach Portici. Dieser Flecken prangt mit einem großen, aber geschmacklos gebauten königlichen Schlosse, weltberühmt durch das Museum herkulanischer Alterthümer (allein über 2000 Wandgemälde), die hier aufgestellt sind. – In Portici miethen wir Maulthiere und einen Führer. Vor uns liegt der Vesuv. In Pyramidalform und zweigipflich erhebt er sich aus der Ebene.

Wir fangen an auf einem ziemlich breiten Pfade hinan zu steigen zwischen Pflanzungen von Reben, die an schlanken Pappeln sich hinwinden und da, wo ihre Ranken von Baum zu Baum sich umarmen, Laubgewölbe und Bogengänge bilden. Hier, und zwar nur hier allein, wächst der Lacrimae Christi. Rechts und links, aus dem Dunkel der Reben, schauen die aus rohgefügten Lavablöcken gebauten Hütten der Winzer malerisch hervor. Bald aber wird der Anbau dürftiger, das Grau verwitterter Lava zieht sich als düstere Lokalfarbe durch die Landschaft und die Wein- und Obstgärten, zusammenhängend am untern Berggürtel, sind durch öde Strecken getrennt und werden, je höher hinauf, je kleiner. Endlich erscheinen sie nur noch sammt einzelnen Gruppen sonnenschirmiger Tannen, wie Oasen in der Wüste. Der verbrannte Boden wird grasleer; große, herabgerollte Steine machen den Pfad unwegsamer; niedriges Taxus- und Myrthengesträuch, zwischen dem hie und da eine einsame Aloe hervorsieht, tritt an die Stelle der Bäume. – So gelangen wir auf des Berges erste Terrasse.

Hier dehnt sich eine weite Ebene vor uns aus. Die beiden Gipfel des Vesuvs, durch ein tiefes Thal getrennt, links der Somma, der ausgebrannte Krater, rechts die jetzige Mündung des Feuerbergs mit kahlen und steilen Seitenwänden, recken sich aus der Mitte der Fläche in die Bläue des Himmels. Beide Gipfel sind oft in blasse Dunstwolken gehüllt und unkenntlich. Stellen sich aber die Kegel rein dem Auge dar, dann bezeichnet eine lichte Rauchsäule über dem einen den thätigen der Vulkane. – Verwitterte Feuerströme mancher Jahrtausende bedecken die Ebene, die wir durchwandern. Sie ist eine grauenvolle Wüste, wo die Laven, wie Schlacken umhergestreut, auf dem schwarzen Boden, gleich weißlichem Schaume, oder vertrocknetem Mooße, sich zeigen.

Um Rande der Terrasse machen wir Halt, um die Aussicht rückwärts zu genießen. Wir erblicken tief unter unsern Füßen Portici, weiter hin Caprea, Ischia, den Posilippo, das Meer mit den weißen Segeln der Fischerkähne besäet, die lachende Küste des Busens von Neapel, die Königsstadt selbst, von Orangenhainen beschattet: – es ist das Paradies, von der Hölle aus gesehen. –

Der Führer mahnt und wir wandern weiter. Links zieht sich ein breiter Lavadamm nach dem steilen Abhange. Einige Baumwipfel überragen ihn. Es sind die Ulmen der Einsiedelei San Salvadore. Die Lavamauer, in die man diese ruhige Hütte christlicher Gastfreundschaft einbauete, ist der furchtbare Strom, der Herkulanum verschüttete und Hunderttausende begrub.