Seite:Meyers Universum 1. Band 1. Auflage 1833.djvu/95

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
XXI. Athen.




Wir betreten geweiheten Boden. GriechenlandAthen sind für jeden edlern Menschen heilige Namen! –

Zwei Völker strahlen am Firmamente der Geschichte der Menschheit als Sterne erster Größe. Es sind die Stifter und die Erhalter jener Kultur, deren Früchte die Gegenwart genießt und welche den Geschlechtern der fernsten Zukunft noch reiche Aerndten verheißt. Die Griechen und die Römer sind diese Völker. Das edle Gewächs der Civilisation, – die Letztern hatten es sich angeeignet, bewahrt, gepflegt, als Beherrscher der halben Welt über Europa verbreitet; aber in Hellas war es heimischda hatten jene es gefunden, da hatte es gekeimt, da war es groß geworden und zur schönsten Blüthe entfaltet.

Der Boden, auf dem die Pflanze gedieh, – allein gedeihen konnte, – er war die Freiheit! Kein Volk der Erde besaß je so viel Freiheit, als die Griechen, keins war ihrer so würdig, keins auch hat sie so zu schätzen gewußt. Es war nicht jene Freiheit, die blos in der Verfassung besteht; – jene höhere, reinere, göttlichere war’s, welche des Menschen, der sie erworben, ganze Denk- und Empfindungsweise durchdringt; welche, jeder vorgeschriebenen Entwickelung Feind, keine Kraft, weder der Seele noch des Körpers, unentwickelt läßt; welche jedem Bürger, jeder Gemeinde, jedem Volksstamm selbstständige Ausbildung sichert; welche, als Produkt des Gemisches der von ihr scharf und eigenthümlich ausgeprägten Charaktere, die schaffende, gewaltige Regsamkeit, die Vielseitigkeit und das stolze Selbstgefühl erweckt, das rastlose Streben Aller nach Veredlung und Vervollkommnung hervorbringt, – kurz, alle die Eigenschaften, welche wir im Volke des alten Hellas anstaunen und bewundern, aber entmannt und gefangen im Labyrinthe der Vorurtheile und des Wahns, uns unmöglich aneignen können. –

Unter allen griechischen Freistaaten war Athen derjenige, in welchem das Licht ächt-menschlicher Geistesbildung am hellsten, am freundlichsten und am längsten leuchtete. Diese alte Metropole des Reiches der Kunst und des Wissens führt ihre Entstehung in die Fabelzeit des Cekrops, eines Colonistenhäuptlings aus Aegypten (1500 Jahre vor Christo) zurück, der auf dem Felsen der heutigen Akropolis sich eine Burg erbaute, welche, so wie die werdende Stadt an ihrem Fuße, den Namen Cekropia erhielt. Später verwandelte sich dieser, zu Ehren der Schutzgöttin des Orts, der Minerva, die bei den Hellenen Athenǎ hieß, in denjenigen, welchen sie noch trägt. Einige Jahrhunderte