Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
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die Schnelligkeit seines Stroms und oft in ganz kurzer Strecke auf die überraschendste Weise. – Hier strömt er in Hast und gräbt beim geringsten Widerstand, der ihn empört, schreckliche Tiefen ein, reißt tief eingeschlagene Pfahlwände um, stürzt Schutzmauern nieder, unterwühlt die festesten Damme und führt ganze Strecken angrenzenden Landes fort. Dort fließt er sanft und langsam; allein es ist nur scheinbare Sanftheit, denn ihm dient die Ruhe bloß dazu, die auf steilerer Strombahn fortgerissenen Steine und Erde in Sandbänke abzusetzen, welche bald sein Bette so erhöhen, daß er nicht mehr Raum in demselben findet; dann überströmt er es und gräbt sich in Triften und Feldern ein neues Rinnsal. Dort rauscht er in scharfen Winkeln dahin, und an solchen Stellen ist es, wo er am häufigsten Land weg führt und die furchtbarsten Zerstörungen anrichtet. Die Anwohner auf der ganzen Uferstrecke vom Bündtner Thal bis nach Rheineck sind in ununterbrochenem Kampfe mit dem Strome begriffen und beständig beschäftigt, seiner wilden Kraft durch Dämme und Schutzmauern zu wehren, oder sie zu mäßigen.
Erst von Rheineck an gewinnt der Strom ein freundlicheres Ansehen. Die glücklichen Bewohner seiner lachenden Ufer von Constanz bis Schaffhausen wissen wohl von seiner ungleichen Höhe und etwa von Ueberschwemmungen zu erzählen, aber wenig von so zerstörender Wuth. Er hat sich in dem Bodensee gewaschen. Das schmuzige Grau seiner Gewässer ist verwandelt in das schönste, reinste Blau, und verdoppelt in Breite und Tiefe entfließt er dieser zweiten Geburtsstätte und schlängelt sich freudig durch eines der schönsten Thäler der Erde. Zwischen hohen Borden fließt er anfangs majestätisch und sanft dahin, fahrbar für so große Flußschiffe, als er zwischen Mainz und Cöln trägt, und benutzt vom Handels- und Gewerbfleiße auf tausenderlei Weise. Seine Gestade bieten hier einen steten Wechsel der lieblichsten Ansichten. Dörfer und Flecken ohne Zahl lagern sich, zum Theil in Fruchthainen versteckt, an seinen Ufern und vor allen Häusern stehen Kähne oder Schiffe. Wo man hinblickt ist Leben, Thätigkeit und Wohlstand; überall ist Seegen des Rheins, wie früher überall Fluch und Zerstörung war.
Unfern Schaffhausen nimmt der Rhein abermals einen neuen Charakter an. Sein Bette verengt sich, die spiegelglatte Fläche fängt an sich zu furchen, das Rauschen der Gewässer wird lauter, immer schneller ihre Strömung. Mit reißender Eile wälzt er sich bei Stein über ein Felsenwehr; – doch nicht in jähem Sturze, sondern in sanft abschüssiger Richtung mit mächtigem Gewässer. Die Hinabfahrt der größten Fahrzeuge, obschon nicht ohne Gefahr, ist hier noch möglich. Von den Steiner Schnellen wälzt sich der Strom in einem sehr tiefen und großentheils sehr schmalen Felsenbette bis Schaffhausen fort. Hier endet die Fahrt mit größern Fahrzeugen gänzlich; denn die Natur macht sie in dem klippenvollen Bette bei den steten Krümmungen um Felsen bis zum Rheinfall hin unmöglich. Nur sehr schmale, lange Nachen, die man beim Herabfahren zu 2 oder 3 an einander bindet, wagen sich noch auf die tobenden Fluthen und dienen den Bewohnern beider Ufer zum Mittel des Verkehrs. Mit Blitzesschnelle tanzen sie den Strom hinab und mit jedem Augenblick wechseln den Schiffenden die Ansichten der immer wilder und romantischer
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 65. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/75&oldid=- (Version vom 7.6.2024)