Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band | |
|
Vom Capitol warfen wir den Blick auf die Union. Die Erscheinungen und Resultate des dortigen Staatslebens zogen an uns vorüber, riesigen Wolkengestalten, die der Sturmwind jagt, ähnlicher, als Wesen der Wirklichkeit. Unser heutiges und künftige Bilder werden uns Gelegenheit geben, das im Einzelnen zu betrachten, was in seiner Gesammtheit unserm an das Kleine gewöhntem Auge fast unerfaßlich schien.
Zwischen Boston und New-York liegt, mit süddeutschem Clima, ein schönes, gesundes, fruchtbares, gut angebautes, etwa 200 Geviertmeilen fassendes Ländchen, vertheilt unter 300,000 Bewohner. Es ist unter den Republiken des Nordamerikanischen Bundes, nächst Rhode-Island, die kleinste. Zahlreiche, mäßig hohe Aeste des Apalachengebirges zerspalten seinen Norden in reizende, geschirmte Thäler; im Süden dehnen sich weite Grasebenen aus, bespült von den Fluthen des Atlantischen Ozeans. Connektikut heißt das Land; ihr Utopien nennen’s, halb im Scherz, halb im Ernste, die freien Menschen da drüben.
Gewiß ist’s, unter allen Staaten auf der weiten Erde gibt es keinen, der, vergleichsweise, so viel Volksglück birgt, als diese kleine Republik; und in keinem ist die vernünftige Idee vom Staate so rein verwirklicht. Er ist im eigentlichsten Sinne ein zu gegenseitigem Wohle verbundener Bürgerverein. Eine fast ganz gleiche Vertheilung des Grundeigenthums, (der Boden ist in Besitzungen von 200, höchstens 300 Morgen zerspalten), hält die Keime der gefährlichsten aller Aristokratien fern; frei von den die Entwickelung eines glücklichen und wahren öffentlichen Lebens hemmenden Fesseln, blühen Ackerbau, Handel und Gewerbe, Künste und Wissenschaften in diesem Unionstheile gleich herrlich, und die dortige Staatsverwaltung, nirgends so einfach, nirgends besser, zweckmäßiger und so wohlfeil eingerichtet, gilt selbst den übrigen Freistaaten als ein noch unerreichtes Vorbild. Der jährliche Gehalt sämmtlicher Staatsdiener beträgt nicht ganz 9000 Dollars; alle Gemeindeämter sind, was sie überall seyn sollten, Ehrenposten, Aemter des Vertrauens und ohne klingende Emolumente. Die gesammten Abgaben betragen jährlich kaum 48,000 Dollars, und ein nicht kleiner Theil besteht aus Beiträgen der Fremden. Vom Ueberschuß dieser kleinen Staatseinnahme haben weise Sparsamkeit und redliche Verwaltung binnen etwa 50 Jahren einen Staatsschatz von fast zwei Millionen Dollars gesammelt, dessen Zinsen jährlich an die Gemeinden des ganzen Landes vertheilt
Joseph Meyer: Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Erster Band. Bibliographisches Institut, Hildburghausen und New York 1833, Seite 109. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Meyers_Universum_1._Band_1._Auflage_1833.djvu/119&oldid=- (Version vom 5.6.2024)