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zu trincken. Ihr Zustand hat uns zu grossen Mittleiden bewogen, und zugleich Anlaß gegeben, GOtt desto inniger für diejenige grosse Gnade zu dancken, welche er uns Christen für ihnen erzeiget.

Wir haben allhier zugleich einen Hällischen Studiosum[1] angetroffen, M. Colben, welcher von dem Herrn geheimen Rathe, Baron von Croseck, aus Berlin um deswillen hieher geschicket worden, daß er alle Tage das gantze Jahr durch die Observationes Astronomicas[2] dieses Orts aufzeichnen soll. Bey einem Studioso aus Königsberg haben wir unser Logiament. Den 25. April waren wir auff dem Löwen-Berge, welcher eine ungemeine Höhe hat; und weil wir gantz alleine hinauf stiegen, so hatten wir unsere Freude in Dancken und Loben der mannigfaltigen Güte GOttes über uns, sungen auch zu unserer Erweckung etliche Lieder. Der Taffel- und Teuffels-Berg war uns zu ersteigen allzuhoch. Man hat sich billig[3] über die grossen Wercke GOttes zu verwundern.

Die Ost-Indische Compagnie in Holland hat einen ungemeinen schönen und grossen Garten[4] allhier, mit raren und köstlichen[5] Gewächsen. In selbigen haben wir wunderliche Thiere gesehen, als: eine See-Kuh, welche sehr mit der Beschreibung des Behemots im Hiob übereinkommt[6], ein Nasenhornthier, welches fast so groß als ein Elephant ist, ein Elends-Thier,[7] ein wild Pferd, welches von fornen biß hinten gantz weiß und rothstreiffig ist, einen Mause-Hund, Dachse, wilde Böcke, mit gedreheten Hörnern, Hirsche, den Europäischen gantz nicht gleich, Löwen; Fische mit starcken spitzigen Stacheln, darunter einer war, so unter dem Leibe einen Kropff hatte, welchen, so er ihn auffbließ, standen die Stacheln in die Höhe, daß ihn niemand angreiffen[8] konte. Es wurde auch dazumahl gleich mit einem Netze ein Fisch gefangen von solchem starcken Giffte, daß wenn man ihn nur einwenig mit Schuen anrührete, man einige Zeit nicht auf solchen Fuß gehen konte, ja am gantzen Leibe eine grosse Empfindung davon hatte. Es wolte niemand dergleichen Fisch jemahlen gesehen haben. Nebst diesen haben sie schöne Feld-Früchte allhier; ihre Erndte aber ist schon im Januario gewesen. Jetzo solte der Winter anfangen; es ist aber so warm, als wie bey uns im heissesten Sommer-Tagen. Der gantze Ort und alle Speisen sind sehr gesund.

Wir hoffen nach wenig Tagen von hinnen wiederum abzureisen nach Ost-Indien hinein. Der HErr sey mit uns, wie er bißhero gewesen ist, und begleite uns mit dem Schutz seiner heiligen Engel. Er erhalte uns in seiner Furcht, und lasse uns beständig auf dem Wege der Warheit einhergehen. Er gebe uns grosse Freudigkeit, den guten Geruch seines Erkäntnisses auszubreiten allenthalben, damit sein Nahme an uns möchte gepriesen, sein Reich vermehret und sein Wille in allen Stücken vollbracht werden! Er wolle auch die lieben Freunde und Brüder seiner Gnade und Liebe ernstlich befohlen seyn lassen; Er begleite ihr Amt mit seiner göttlichen Krafft und mache sie recht freudig und getrost, unermüdet an dem Wercke des HErrn zu arbeiten; Er belohne auch ihre Treue mit zeitlichen und ewigen Seegen. Sie grüssen die Ihrigen, und alle, die mit uns in der Liebe vereiniget sind. JEsus sey mit ihren Geiste, Amen.

Wir verbleiben unter dem Schutz des Allmächtigen
Ihre
Gegeben in Africa von Capo de bonne     zu Gebet und Liebe verbundene
Esperance, d. 30. April 1706. Bartholomäus Ziegenbalg,
 Heinrich Plütscho.

  1. also einen Wissenschaftler aus Halle
  2. lat.: astronomische Beobachtungen
  3. angemessen, ordentlich
  4. wohl eine Plantage
  5. kostbaren
  6. Demnach dürfte es sich um ein Flusspferd handeln, siehe Hiob 40, 15-24 (Luther 1545) (BibleGateway.com)
  7. Elends-Thier: Elen-Antilope, auch Eland genannt
  8. anfassen
Empfohlene Zitierweise:
Bartholomäus Ziegenbalg, Heinrich Plütscho: Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien. Joh. Christoph Papen, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1708, Seite 8. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Merckw%C3%BCrdige_Nachricht_aus_Ost-Indien_08.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)