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des rechtschaffenen Christenthums, bis sie wieder ins Vaterland kommen werden. Unter denen Holländern[1] haben wir es besser angetroffen. Sie haben einen Prediger, halten eine schöne Kinder-Lehre mit catechisiren[2], sie führen immer die Bibel bey sich, und haben wol leiden mögen, daß wir fleißig mit ihnen aus selbiger redeten. Der Prediger allhier ist ein sehr gelehrter, weiser und zugleich den Lutheranern gewogener Mann. Wir haben bey ihm sehr viel schöne Bücher angetroffen von unsern Theologis,[3] und hoffen, unsere Discurse[4] werden bey ihm auch nicht ohne Segen bleiben: Wie wir ihm denn auch des Herrn Freylingshausens Theologie[5] geschencket haben. Wir haben uns sehr erfreuet, da wir gehöret, wie daß der schwartzen Sclaven Kinder auff alle Fragen des Christenthums so fein antworten können: müssen uns aber sehr verwundern, daß die Christen so gar unbillig mit ihren Sclaven umgehen, und, wie gesaget wurde, nicht zugeben[6] wollen, daß sie getaufft und zum Christlichen Glauben gebracht würden.

An den Hottentotten, die uns, aus Hoffnung eines Geschencks, sehr höfflich aus dem Schiff empfiengen, haben wir ein recht elend Volck angetroffen. Sie haben gantz keinen Gottesdienst, leben in kleinen Hütten, wie bei uns die Backöfen sind, haben ein Schaaf-Fell über sich hangen, gehen mit dem Kopffe und überall bloß; Die Weiber sind an ihren Beinen mit Schaafs-Därmen bewunden, haben allerhand Metall in Haaren und am Halse hangen. Sie sind gegen die Frembden sehr höfflich und machen gantz wunderliche Posituren. Sie haben unter sich einen Capitain: GOtt aber nennen sie den Ober-Capitain. Die meisten können ziemlich Nieder-Teutsch reden[7]. Wir sind etlichemal bey und in ihren Hütten gewesen, haben einen jedweden Geld oder sonsten etwas verehret. Da sie denn eine solche Liebe zu uns bekommen, daß sie uns allenthalben zugeruffen: Gute Christen, gute Christen, schöne Christen Mann. Item: Wir auch Christen-Mann so, Sie haben unter sich manche Ceremonien; wann man sie aber fraget, warum sie dieses oder jenes also thun, wissen sie nichts anders zu antworten, als daß es also Hottentotten-Manier sey. Wenn der Mond voll wird, so machen sie sich die gantze Nacht über fröhlich mit schreyen und tantzen. Sie haben eine wunderliche Sprache, die niemand erlernen kan. Sie sind sonsten von guter Disposition und Proportion des Leiben; stincken aber greulich, weil sie sich täglich mit Fett schmieren. Sie lieben die Freyheit sehr, und wird sich keiner so leicht denen Christen unterthänig machen. Sie beschemen uns Christen in vielen Stücken. Sie haben untereinander eine grosse Liebe, also, daß wenn einer etwas gutes geneußt, er allezeit auch denen andern solches mitgeniessen lässet. Sie sind sehr vergnügsam[8], also, daß wenn man ihnen einen Ducaten geben wolte, sie ihn nicht nehmen würden, sondern nur einen Groschen fodern, darum weil sie diesen, nicht aber jenen, den Tag über verzehren können. Sie sind sehr dienstfertig: wenn man ihnen ein Doppelchen oder Groschen giebt, so lauffen sie dafür so viel Meilen, als man haben will. Sie sind sehr treu und werden denen Christen nicht das geringste entwenden, wenn sie auch einen Hauffen Geld um sich sehen. Sie werden nicht mit dem Ehr-Geitz, Geld-Geitz und Sorge der Nahrung so geplaget, als wie wir Europäer. Ein jeder sorget nur für den gegenwärtigen Tag, und haben unter sich keinen Vorzug der Würde, ohne[9] daß ihr Capitain allezeit in der Mitte sitzet, und am ersten anfänget zu essen oder


  1. Die niederländische evangelische Kirche ist nicht lutherisch, sondern reformiert.
  2. Unterricht über die wesentlichen Glaubenslehren
  3. Theologen
  4. Gespräche über Lehrfragen
  5. Johann Anastasius Freylinghausen: Grundlegung der Theologie. Halle 1703. Freylinghausen kam 1695 nach Halle und war später Direktor des Waisenhauses, das der genannte August Hermann Francke gegründet hatte.
  6. zulassen, erlauben
  7. Die niederländische Sprache, aus der die Sprache „Afrikaans“ entstand, ist eine Hochform des Niederdeutschen.
  8. genügsam
  9. außer, abgesehen davon
Empfohlene Zitierweise:
Bartholomäus Ziegenbalg, Heinrich Plütscho: Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien. Joh. Christoph Papen, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1708, Seite 7. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Merckw%C3%BCrdige_Nachricht_aus_Ost-Indien_07.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)