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Mittags und Abends hatten wir unsere gewöhnliche Schiffs-Erbauung[1] mit GOttes Wort nebst beten, singen und loben GOttes: Dadurch denn zugleich viele andere aufgemuntert worden. Die übrige Zeit des Tages brachten wir zu mit meditiren Lesung und Betrachtung göttliches Wortes, mit freundlichen und erbaulichen Gesprächen, mit Anschauung der grossen Wunder GOttes, die wir täglich vor Augen gehabt haben. Dann und wann suchten wir dann auch durch eine liebliche Vocal- und Instrumental-Music GOtt zu loben, und mit geistreichen Arien unsere innere harmonie zu erwecken.

Solcher gestalt haben wir die edle Zeit nicht ohne Nutzen und mit nicht geringer Gemüts Ergetzung zu bringen können, also das selbige uns immer zu kurtz, niemahls aber zu lang worden ist; Ja wir würden es wenig achten, wenn wir auch gleich noch etliche Jahre auff dem Meere zu schiffen hätten, so uns GOtt nur Gesundheit verliehe. Denn eben dieses ist uns bißhero diejenige Schule gewesen, darinnen man GOttes Wort nicht nach dem blossen Buchstaben alleine sondern auch in seiner innerlichen Krafft und Süßigkeit verstehen und in praxi empfinden lernet. Der liebe GOtt hat uns solcher Gestalt seine in demselben verborgene Geheimnisse unterm Creutze mehr und mehr auffgeschlossen, und seine göttliche Warheiten in unserer Seele lebendig gemacht, um davon nun und künfftig desto freudiger aus eigener Erfahrung zeugen zu können. Daher wir auch so versichert sind des göttlichen Seegens in unsern anvertraueten Amte, daß wir deswegen alle bevorstehende Leiden, Wiederwärtigkeiten und Verfolgungen gantz geringe achten und mit Freuden erwarten. Solte es gleich sehr schwer seyn, Anfangs etwas gutes unter denen Heyden anzurichten; So wird doch GOtt unsern Umgang mit denen Christen nicht ungesegnet seyn lassen: wie uns der HErr schon bißher hat sehen und zu erkennen gegeben.

Indessen werden die lieben Freunde nicht aufhören, GOtt für uns hertzlich zu bitten, also daß, wie wir bißher dessen reichen Zufluß gehabt, und seine Krafft in unserer Seele und Amt empfunden; wir hinführo gleichfals, vermöge dessen, viel gutes ausrichten möchten, und auf unserer noch bevorstehenden Reise hierzu, nach dem Willen GOttes, gesund erhalten werden. Wir können mit Worten nicht gnugsam bezeugen, was für Stärckung wir in unsern Hertzen von GOTT überkommen haben, wenn wir an Sie und andere im Geist und Liebe verbundene Freunde gedacht, und ihres unauffhörlichen Gebets für die Ausbreitung des Reiches JEsu Christi uns erinnert haben. Sie sollen also wissen, das gleich wie sie mit uns, also auch wir mit ihnen gewesen seyn, wenn sie vor GOtt geseuffzet haben. Ach der HErr HErr lasse unsre Hertzen in solchem Bande der Liebe auf ewig verbunden seyn, und erhöre, was wir in einem Sinne und Geiste um die Ausbreitung seiner Ehre und Fortpflantzung seiner Warheit, täglich wündschen und verlangen.

Nebst diesem sollen sie wissen, daß uns GOtt auch dem Leibe nach grosse Gnade hat wiederfahren lassen. Bißhero hat uns noch nichts gemangelt, was zu dessen nöthigen Unterhaltung dienet. Der Schiffs-Capitain, der uns anfänglich wenig zugethan zu seyn schiene, hat uns nachmahls so hertzlich geliebet, daß er alles mit uns gemein gehalten. GOtt hat sein Hertz nebst andern dermassen gerühret und zu uns gewandt, daß es ihm eine Freude war, wenn er uns in etwas solte dienen und gutes


  1. Andacht
Empfohlene Zitierweise:
Bartholomäus Ziegenbalg, Heinrich Plütscho: Merckwürdige Nachricht aus Ost-Indien. Joh. Christoph Papen, Leipzig, Frankfurt am Main, Berlin 1708, Seite 5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Merckw%C3%BCrdige_Nachricht_aus_Ost-Indien_05.jpg&oldid=- (Version vom 20.11.2023)