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Reichsbestimmung aufgehoben werden. Die persönliche Freiheit in der preußischen Verfassung hat mit § 5 des Reichspostgesetzes nichts zu tun. Da wo das Belagerungszustandsgesetz überhaupt eingreift, z. B. das Preßgesetz, ist das ausdrücklich bestimmt. Von einer persönlichen Freiheit ist hier überhaupt nicht die Rede, durch die Verletzung des Briefgeheimnisses wird ein Staatsbürgerrecht, ein Staatsgesetz verletzt. Die Sperre kann nur der Richter anordnen, niemals ein Generalkommando. Das Reichsgericht hat im Band 49 seiner Entscheidungen, Seite 162, ausführlich dargelegt, daß die vollziehende Gewalt, die die Militärbefehlshaber erhalten haben, sich nur darauf beziehe, daß sie die zur Ausführung eines Gesetzes nötigen Anordnungen zu erlassen haben, also zu prüfen haben: Ist es nötig, solche Anordnungen zu erlassen? Niemals aber sind sie dadurch berechtigt zur Aufhebung eines Gesetzes. Eine solch ungeheuerliche Auslegung ist in keinem Kommentar zu finden. Es wäre dasselbe, als wenn man deduzieren würde, der König sei als vollziehende Gewalt berechtigt, ein Gesetz aufzuheben. Das Tatbestandsmerkmal einer strafbaren Handlung liegt bei diesem Vorgehen des Generalkommandos zweifellos vor. Diese Verletzung des Briefgeheimnisses erinnert an die schwärzesten Zeiten des schwarzen Kabinetts. In einem um seine Freiheit ringenden Deutschland dürfen solche Dinge nicht Vorkommen.

Ministerialdirektor Lewald: Der Vorredner legt das Belagerungszustandsgesetz zu eng aus. Das Reichsgericht hat wiederholt anerkannt, daß auf Grund des § 9b auch neues Recht geschaffen werden kann.

Abg. Stadthagen: § 9b handelt nur von Verboten. Was für ein Verbot ist denn hier ergangen? Glaubt der Ministerialdirektor etwa, daß ein Gericht sich findet, das einen Postbeamten bestraft, wenn er entgegen der Anordnung des Generalkommandos einen Brief aushändigt? Er ist ja zur Aushändigung verpflichtet. Wir müssen diesen Anfängen eines schwarzen Kabinetts mit aller Entschiedenheit entgegentreten.

Die Resolution Bernstein über die Verletzung des Briefgeheimnisses wird gegen die Stimmen der Soz. Arbg., Sozialdemokraten und Polen abgelehnt.

Ein englisches Gebet. Am 2. Januar 1916 fand in der Paulskathedrale in London ein nationaler Bittgottesdienst statt, dem unter anderen der Oberbürgermeister von London, die Stadträte und Sheriffs (oberste Beamte der Grafschaft) und einige achtzig Mitglieder der Londoner Kaufmannschaft in Amtstracht beiwohnten. Der Erzbischof von Canterbury leitete den Gottesdienst, der folgendes Gebet enthielt:

„Lasset uns Gott bitten, daß er aus den Wirren und dem Elend des Krieges ein besseres Verständnis für das
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Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7. Langguth, Esslingen am Neckar 1916, Seite 137. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Menschen-_und_Voelkerleben_1916_Heft_6-7.pdf/31&oldid=- (Version vom 25.2.2024)