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Regierung gehörenden Bootes getötet und das Boot zur Flucht benützt wurde – diese Fälle gehören, wie gesagt, zu den seltenen Ausnahmen. Die Eisbrücke, die im Winter den tatarischen Golf am nördlichen Teil der Insel bedeckt, wo dieser nur eine geringe Tiefe besitzt, wird wohl von den Eingeborenen benützt, von wilden Renntieren, selbst von Tigern, die manchmal aus dem Amurgebiete der Insel einen Besuch abstatten – die Gefängnisse aber, wie auch die Ansiedelungen sind viel weiter südlich gelegen, und zur Winterszeit wird das Wandern durch die Taiga mit ihrer Weglosigkeit fast unmöglich, da niemand die damit verbundene Ermüdung, Sorge und Hunger lange auszuhalten vermag. Im Sommer ist das Leben in der Taiga zur Not möglich; Beeren, Wurzeln und Fische dienen dann zur Nahrung. Aber im Winter? Der Schnee liegt dann mehrere Meter hoch und bedeckt alles weit und breit – und auf Sachalin gibt es keine freien Bewohner, die, wie dieses im Innern von Sibirien Sitte ist, ein Brot vors Fenster legen für „Unglückliche“. Beim Heranrücken des Winters müssen die Flüchtlinge entweder ins Gefängnis zurückkehren, wo sie Peitschenhiebe und Verlängerung der Strafzeit um 10 Jahre erwartet – oder, wenn sie sich in der Taiga verirrt haben, Hungers sterben. Die „Warnacki“, wie in Sibirien die flüchtigen Sträflinge genannt werden, fallen manchesmal auch den Giljacken zum Opfer. Diese halbwilden Eingeborenen wissen wohl, was ein Warnack ist, daß er sich ohne Berechtigung in der Taiga aufhält und darum ebenso gejagt werden kann wie ein Tier. Von allen Geschöpfen, die den Pfeilen der Giljacken zum Opfer fallen, ist ein Warnack die kostbarste Beute: dem Erschlagenen kann man Hemd und Kleidung ausziehen, und oft findet sich bei ihm ein Beil oder Messer, unbezahlbare Schätze, die selbst durch das Fell oder Fleisch eines Bären nicht aufgewogen werden.

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Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7. Langguth, Esslingen am Neckar 1916, Seite 124. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Menschen-_und_Voelkerleben_1916_Heft_6-7.pdf/18&oldid=- (Version vom 24.2.2024)