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1647–1657 ihre Staatssouveränität. Aber Polen rüstete wieder zum Kampfe, vom Osten her drohten mit einem Ansturme die Krimtataren und die Türken, und Chmelnytzkyj, der nach einem Rückhalte suchte, schloß im Jahre 1654 eine Personalunion mit Moskau ab, unter Wahrung der selbständigen inneren Organisation der Ukraine, – des eigenen Heeres – und mit dem Recht, unmittelbar mit anderen Staaten diplomatisch zu verhandeln.

Chmelnytzkyj hatte im Sinne ein zeitweiliges Bündnis mit Moskau, wie er derartige bereits früher mit den Tataren und den Türken geschlossen hatte, aber mit den verschmitzten Moskauer Politikern war es nicht so leicht fertig zu werden, wie es Chmelnytzkyj meinte. Die Nachfolger Chmelnytzkyjs, die gewählten Hetmane, zögerten: die einen sahen Rettung in einer Wiedererneuerung des Bündnisses mit Polen gegen Bestrebungen Moskaus, die ukrainische Staatsorganisation zu vernichten, die andern waren für ein Bündnis mit der Türkei und für einen Kampf gegen die gefährlichsten Feinde: Polen und Moskau.

Dieses Zögern, die nicht gesicherte Lage der Ukraine und die fortwährenden Anstürme auf die Ukraine, bald von der Seite des einen Nachbarn, bald von der des anderen nützte die mit Bestechungen arbeitende Moskauer Diplomatie zu einer Wühlarbeit in den Massen des ukrainischen Volkes aus, das Volk immer mehr entzweiend und die Fangarme um das Land ausbreitend. Vom Anfange des Einfalles der Tataren im dreizehnten Jahrhundert hat die Ukraine während der fünf Jahrhunderte das durchleben müssen, was das deutsche Volk während des Dreißigjährigen Krieges durchgemacht hat. Wenn wir diesen Vergleich vor Augen haben, so werden wir ermessen können, was für eine kolossale Masse kultureller Errungenschaften in dieser Zeit der Vernichtung

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Menschen- und Völkerleben 1 (1916), Heft 6/7. Langguth, Esslingen am Neckar 1916, Seite 118. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Menschen-_und_Voelkerleben_1916_Heft_6-7.pdf/12&oldid=- (Version vom 24.2.2024)