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19.
Das singende Rohr.

Es lebte einmal ein König, in dessen Reiche war ein großer Wald, worin sich ein ungeheures wildes Schwein aufhielt, welches das ganze Land verheerte, und Kinder und Erwachsene tödtete. Keiner war seines Lebens vor ihm sicher, und weder Jäger noch Hund wollte mehr darauf losgehen: denn Alle, die es gewagt hatten, denen hatte das Schwein mit seinen Hauzähnen den Leib aufgerissen, so daß sie unter den größten Schmerzen ihren Geist aufgeben mußten. Sogar des Königs einziger Sohn, der ein sehr tapferer Prinz war, und den Eber mit seinem Spieße verfolgt hatte, war von demselben zerrissen worden, so daß ihm nur noch eine einzige Tochter übrig blieb, welche sehr schön war, und einmal das Reich nach ihres Vaters Tode erben sollte.

Darum ließ der König ausrufen: Wer das wilde Schwein erschlüge, und es todt vor des Königs Füße legte, der sollte seine Tochter zur Gemahlinn haben.

Als dies bekannt wurde, da kamen viele Fürsten und Grafen, und andere vornehme Herren von fern und nah, und versuchten es mit dem wilden Schweine, aber sie mußten das Wagestück mit dem Leben bezahlen.

Nun lebten aber auch zwei Brüder in dem Lande, von denen war der älteste Herr eines Guts, das er von dem Vater ererbt hatte. Niemand mochte ihn leiden, denn er war übermüthig und ein stolzer Prahler. Sein jüngerer Bruder diente bei ihm als Schäfer, und mußte die Heerden auf dem Felde hüten. Alle aber, die ihn sahen, hatten ihn lieb, denn er war sanft und freundlich und von schönem Ansehen.