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sich zusammen aus Mannschaften eines aus sangesfrohen und sangeskundigen Rheinländern und Westfalen gebildeten Ersatzbataillons, das schon seit Wochen im Felde steht. Sie singen zuerst den Choral: Das ist der Tag des Herrn, sodann ein mir in Text und Weise unbekanntes Lied, Heimatliebe, in dem die ganze Innigkeit und Gemütstiefe und opferfreudige Hingebung der deutschen Volksseele in ergreifender Weise in Tönen ausströmen. Sie singen vom schmerzlichen Abschied des ins Feld ziehenden Soldaten vom Mütterlein und von der Braut, von seinem freudigen Tode fürs Vaterland auf dem Feld der Ehre; mit hinreißendem Ausdruck, mit erschütternder Gefühlswärme. Aufs tiefste ergriffen sind die eingeladenen Zuhörer und die Menge der Soldaten, die mit ihnen die Kirche betreten hatten. Nichts wird je den unauslöschlichen Eindruck verwischen, den ich in diesem einfachen Kirchenkonzert empfangen habe. Den Schluß machte das frische Reiterlied Wilhelm Hauffs: Morgenrot, Morgenrot, leuchtest mir zum frühen Tod. Auf der erhöhten Terrasse der Kirche im Freien sang der Soldatenchor schließlich auf dringende Bitten der Zuhörerschaft noch ein frohes Rheinlied: Frisch auf, frisch auf zum Rheine. Auf dem Platz vor der Kirche standen dicht gedrängt die deutschen Soldaten und die fremden neutralen Journalisten. Und die einheimische französische Bevölkerung, soweit sie sich nicht mehr auf die Straße gewagt hatte, riß die Fenster

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Karl Müller: Kriegsbriefe eines neutralen Offiziers. Velhagen & Klasing, Bielefeld ; Leipzig 1915, Seite 70. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%BCllerKriegsbriefe.pdf/74&oldid=- (Version vom 1.8.2018)