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Wendelin, obwohl keineswegs furchtsam, erschrak nun doch ein wenig, bekreuzte sich und leuchtete dann schnell hinter sich.

Da, ein ganz, ganz kleines Männlein war’s, mit grauem Hängebart, einem ledernen Wämslein und ebensolchem Käpplein. Die Füßchen steckten in den niedlichsten Holzpantöffelchen, die Wendelin je gesehen, und die kleinen Hände hielten ihm ein silberglänzendes Kännlein entgegen, während der Kleine flehte:

„Von dem Wein
Schenk’ mir ein
Ein paar Schluck –
Kluck, kluck, kluck!“

„Es ist ja mein Eigentum, darum darf ich’s schon gewähren,“ dachte Wendelin und entgegnete freundlich: „Weiß ich auch nicht, wie du hier in den Keller gelangtest, und wer du bist, so geb’ ich dir doch gern, was du erbeten hast. Du hast wohl großen Durst?“

Das Männlein schüttelte den Kopf, hob abermals sein Kännlein hoch und tuschelte:

„Heinzelkönig ist so krank,
Davon ward mir Kunde;
Brauchte guten Wein zum Trank
Gleich in dieser Stunde.
Heinzel-Heinzel-Heinzelmännchen
Wünscht sich darum Wein im Kännchen.“

Ohne Zögern goß Wendelin nun den für ihn bestimmt gewesenen Trank in das blinkende Gefäß, und merkwürdig: so klein dieses aussah, schien es doch, als ob es nie voll würde; denn es schluckte den ganzen Inhalt aus des Gesellen Kanne, daß auch kein Tröpflein für diesen darin blieb.

Heinzelmännchen deutete mit bedauernder Gebärde auf des Spenders Kanne und ermunterte Wendelin:

Empfohlene Zitierweise:
Elsbeth Montzheimer: Märchen. Leipzig: Leipziger Graphische Werke AG, 1927, Seite 140. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:M%C3%A4rchen_(Montzheimer)_140.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2018)