1286 kam nach Lübeck ein alter Mann; der hatte durch Gift und Gaben einige Bösewichter auf seine Seite gebracht, und gab vor, daß er Kaiser Friedericus II. sei, welcher die Stadt kaiserfrei gemacht. Er sei nicht gestorben, sondern habe ins Elend wandern müssen, und eine geraume Zeit unbekannter Weise in verschiedenen Ländern Aufenthalt gehabt, bis er an diese seine treue Stadt gekommen, von welcher er sich aller Hülfe versehe. Dieß nun begonnte er erstlich dem gemeinen Mann kund zu machen, und verhieß dabei gewaltige Dinge, so daß ihm große Ehre von Vielen erzeigt ward. Endlich rotteten sich einige Bürger zusammen, setzten ihn auf ein schönes Pferd, und führten ihn unter Getümmel durch die Stadt, auf daß ihn Jedermann beschauen und verehren möchte. Da war aber Burgemeister Hinrich Steneke, ein weiser Mann, welcher den Kaiser oft gesehen, ja geraume Zeit an seinem Hofe gelebt hatte; der nahm den Bösewicht her und examinierte ihn. Flugs aber ward der Schelm unsichtbar, und Niemand konnte sagen, wo er geblieben.
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 71. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/77&oldid=- (Version vom 1.8.2018)