Im Jahre 1238 ist Lübeck zum drittenmal ausgebrannt. Es ist höchlich zu verwundern, was die gute Stadt für Schaden in hundert Jahren gelitten, und daß sie doch nicht ganz und gar verwüstet und vergangen ist. Hievon ist zu merken, daß Gott sie erhalten wollen.
Kaum war sie wieder aufgebaut und die Häuser gerichtet, da kam eilige Botschaft, daß die Tatern mit vielen tausend Mann in Livland eingefallen und das Land verheert und die Leute erwürgt. Da nun der Unchristen Menge so groß war, daß sich Jedermann fürchten mußte, und dazu viele Schiffe in Reußland lagen, die sie einnehmen konnten: so befestigten die Lübecker ihre Stadt am Burgthor mit einem mächtigen Wall und dicken Mauern und Thürmen. Damit aber das Werk um so schleuniger Fortgang hätte, gab der Bischof großen Ablaß, auch für die schwersten Sünden denen, die dazu halfen. Da kamen Junge und Alte, Reiche und Arme, Frauen und Jungfern, damit ein Jeder den großen Ablaß zur Seligkeit genießen möchte, vel quasi.
Die Tatern aber wurden von bösen Geistern irre geführt, daß sie nicht an die Schiffe kamen; und so war die Mühe umsonst.
Der Wall war noch vor wenigen Jahren in dem Brauerkunsthofe an der Mauer beim Marstall zu sehen.
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 52. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/58&oldid=- (Version vom 1.8.2018)