Im Jahre 1222 kor man etliche zu Rath, darunter auch Herrn Bertram Morgenweg. Dieser ist anfänglich ein armer Knabe gewesen, der von seinen Eltern nichts gewüßt. Sein Herr, dem er einige Jahre gedient, ließ ihn aber täglich eine Stunde in die Schule gehn, und pflegte ihn öfter zu fragen, wann er einmal weg wollte, um sich in der Welt zu versuchen. Immer war die Antwort: „Morgen will ich weg“; so daß der Herr endlich zu ihm sagte: „Du magst wohl ein rechter Morgenweg heißen.“ Nun war des Knaben Herr eine Rathsperson, die unzählige Güter aus Reußland erworben, und nur ein einziges Töchterlein von 3 oder 4 Jahren hatte. Seine Diener, Gesellen oder Lieger aber waren in Reußland und wurden, wenn sie sich mit ihren Waaren einstellten, ehrlich gehalten; besonders einer, der mit dem Herrn in Maskopei saß und mächtig reich geworden war. Dem gefiel Knabe Bertram recht wohl; und empfing von ihm Geld für den Schulmeister, daß er fleißig lernen, und dann mit erster Schiffsgelegenheit gen Riga kommen und ferneren Bescheid erwarten sollte. Das thut der Knabe, hält sich wohl, und da seine Zeit und Gelegenheit vorhanden, steht er des Morgens früh auf, schlägt im Hause die Tischdecke ein wenig zurück und schreibt mit Kreide auf den Tisch: „Morgenweg ist all weg“:
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 36. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/42&oldid=- (Version vom 1.8.2018)