1506 im September ist eines vornehmen Mannes Frau in der Wahmstraße schleunig gestorben. Die ist nach des Orts Gebrauch in ein leinen Laken genäht und in den Sarg gelegt, danach in die Kirche getragen und in eine offne Kapelle gesetzt, auch der Deckel abgelassen, weil man folgendes Tages erst ihr Begängniß halten wollen. In der Nacht aber wacht sie auf, reißt das Laken vom Kopf und bemerkt bei dem Schein der immerwährenden Lampe, daß sie im Sarge liegt. Da sie nun ein Geräusch hört, hält sie sich still, und siehet, wie der Küster an den messingenen Leuchterarmen die Wachslichte unten abschneidet. Sie schleicht deßhalb herzu, findet die Thür offen, und kömmt glücklich nach Hause, wo ihr trauriger Eheherr sie mit Freuden empfängt.
Dessen zum Gedächtniß hat er vor der Thür einen steinernen Beischlag mit ihrem Bilde im Leichentuch machen lassen; wie noch vor wenig Jahren deutlich zu sehn war.
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/283&oldid=- (Version vom 1.8.2018)