1493 starb zu Lübeck ein Graf, der zwar reich und angesehn war, dem aber seine Eltern mit ihrem Hab’ und Gut einen Fluch hinterlassen, weil er ihren Segen verachtet, als ob er ohnedas leben können. Gegen sein Ende jedoch war er traurig und ernsthaft, und hätte gern gewünscht, daß ihm seine Eltern vergeben. Er ist aber feierlich begraben und in eine Kapelle des Doms beigesetzt.
Als man 50 Jahre später die Kapelle und den Sarg geöffnet, lag der Leichnam frisch und unverdorben darin, als ob er schliefe. So zeigte man ihn allen Fremden; ob einer sei, der das lösen möchte.
Nun saßen eines Abends bei dem Dompropsten einige Gäste, und sprachen von dem Grafen, den der Eine, ein Fremder, gerne gesehn hätte. Weil es aber gar spät war im Jahr und in der Nacht, gab er’s auf. Da trat des Propsten Jungfer dazwischen, eine brave und fromme Magd; die erbot sich, den Leichnam zu holen. Man verhieß ihr ein gutes Geld. Der Propst läßt die Thüren öffnen; sie geht in die Kapelle, nimmt den Körper heraus und bringt ihn den Gästen. Zurücktragen will sie ihn jedoch nicht wieder: denn es war ihr unheimlich
Ernst Deecke: Lübische Geschichten und Sagen. Carl Boldemann, Lübeck 1852, Seite 261. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Luebische_Geschichten_und_Sagen.djvu/267&oldid=- (Version vom 1.8.2018)