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Das Zwerg-Weiblein aus dem Frau Hollenloche.

An der Kirchbrücke in Krannichfeld steht ein Backhaus, zu welchem eine von dem Frau Hollenloche nicht weit befindliche Scheune gehört. In dieser Scheune mußten die Gesellen des Bäckers, wenn sie den Ofen ausgenommen hatten, das zum backen nöthige Holz spalten. Nun hatte der Bäckermeister einmal einen Gesellen, einen sonst gar guten Burschen, der wie seine Vorgänger ebenfalls gegen Abend das zum backen nöthige Holz spaltete. So war er einstmals recht fleißig mit seiner Arbeit in der Scheune beschäftigt, als er aus dem Frau Hollenloche einen „Geist“, in Gestalt eines uralten kleinen Zwergen-Weibleins von wunderseltsamlichem Ansehen herauskommen sah, welcher Geist sich ihm, beständig mit der Hand winkend, bis auf dreißig Schritte näherte. Der Bäckergeselle war sehr erschrocken, dennoch aber wich er nicht von der Stelle, bis er seine Arbeit verrichtet hatte. Dann ging er weg. Am zweiten Tage kam die Erscheinung wieder, und ebenso am dritten Tage. Bedenklich über den Besuch des ungeladenen, einladenden und dennoch nicht einladenden Gastes, richtete sich der Bäckergeselle nun so ein, daß er gegen Abend nicht in die Scheune zu gehen brauchte. Aber auch da verschonte ihn das Zwerg-Weiblein nicht. Es kam in der Nacht in seine Stube bis an sein Bette, und winkte beständig mit der Hand. Das dauerte über acht Tage. Da ging der arme Bäckergeselle, der noch Niemandem etwas von der Erscheinung gesagt hatte, endlich zu dem Herrn Superintendenten, der ihm den Rath gab, dem Weiblein, sobald es wieder zu ihm komme und ihm winke, zu folgen. Das wagte der Bäckergeselle aber

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 279. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/281&oldid=- (Version vom 1.8.2018)