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weckt keinen Laut an der wiederhallenden Mauer, nur der lange weiße Schleier bläht sich im Luftzuge. Dann wandelt sie über den Schloßhof, und wenn sie langsam die Gallerie durchwandelt hat, verschwindet sie wieder, wo das Thor mit dem Schlosse zusammenstößt. Die Sage des Volkes will, es sei dieß der Geist einer Prinzessin, Namens Christine, der diesen nächtlichen Umgang dann mache, wann der Tod ein hohes Opfer fordere, wie fast in jedem andern Fürstenhause die Erscheinung einer Ahnenfrau sagenhaft fortlebt. Der fürstlich schwarzburgische Stammbaum zählt mehrere Christinen auf.




372.
Die hohe Warte.

Ueber dem kleinen rings von Bergen umgebenen Städtchen Teichel stand vor Zeiten ein Bergschloß, Hohe Warte geheißen. Darin hatte sich eine Raubrotte festgesetzt, die nannte das Volk vorzugsweise die Bosen oder die Bösen. Diese Burg beherrschte das ganze Thal, und hatte die Aussicht auf Teichel, Amelstädt, wo vor Zeiten ein Nonnenkloster gestanden, und Teichröden herab, und die Räuber hatten namentlich auch in der Judasmühle einen Schlupfwinkel, indem sie da, wo die Bächlein Rinne und Hornitsch zusammenfließen, aus unterirdischen Gängen hervorbrachen, und den Wanderern vielfaches Weh zufügten, ja es soll von der Hohe Warte bis zur Judasmühle ein solcher unterirdischer Gang geführt haben. Diese Räuber waren so kühn und frech, daß sie der Angst des Volkes spotteten, und wenn sie einen Ueberfall ausführten, so thaten sie es mit dem Feldgeschrei: Holla holla huscha! Das Land ist

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/237&oldid=- (Version vom 1.8.2018)