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mit den lieben Ihrigen das heilige Abendmahl zu genießen. Mit Schelt- und Hohnworten über ihr gottseliges Vorhaben wurde ihr die Erlaubniß gegeben, so daß sie weinend und von Herzen betrübt ihres Weges ging. An diesem Tage ging etwas in tiefster Stille vor zu Ebersdorf. Es war so still, so gewitterschwül, aber es kam kein Gewitter. Es waren keine Wolken am Himmel, aber die Sonne schien nicht mehr. Niemand wußte, wohin die Sonne war. Und den Leuten wurde so seltsam, sie wußten nicht wie – und verwunderten sich nur, als auf einmal in aller Stille die unteren Fensterbrüstungen mit dem Erdboden in einer Linie sich befanden, und daß es nach und nach dunkler wurde, und immer dunkler, und endlich ganz Nacht, aber in aller Stille. Nur die Hähne krähten noch. Wie die Magd nun von Springstille zurück kam, fand sie kein Ebersdorf mehr; nur einen großen Hügel erblickte sie, darauf ein goldenes Grabkreuz stand – als sie näher kam, fand sie, daß es das Kreuz auf dem Thurmknopf war – so tief war alles schon gesunken. In der Tiefe kräheten noch immer die Hähne. Nun sprang die entsetzte Magd wieder nach Springstille zurück, und sagte ihren Angehörigen, was sie gesehen, aber niemand wollte ihr glauben. Einige gingen am andern Morgen mit ihr – da war auch das Kirchthurmkreuz vollends hinabgesunken, und es krähete kein Hahn mehr, weder im Dorfe, noch nach dem Dorfe. Da nahmen die Springstiller die Ebersdorfer Felder in Besitz, und besitzen sie theilweise noch heute. In des Thalgrundes Mitte erblickt man immer noch den Hügel, der die Kirche deckt, wie ein großes Grab.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Zweiter Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 10. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Zweiter_Band.pdf/12&oldid=- (Version vom 1.8.2018)