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53.
Die ungetreue Brücke.

In der Nähe und Nachbarschaft des Dorfes Schwallungen unterhalb Wasungen im Werrathale, uralt, schon 788 als Svvollunga genannt, haben sich mancherlei Spuksagen erhalten. Ein gespenstiger Reiter läßt sich im Dorfe sehen, der hat keinen Kopf. Der Vater des alten Melcher, des ältesten Mannes im Dorfe, hat an der Straße gewohnt und zum öftern jenen Reiter gesehen. Er kam von einem Wegkreuze, das an der Hard beim Oelmeßchen stand oder lag. Wenn er an des alten Melchers Aelternhaus kam, betete der Vater desselben ein Vater Unser. Da hielt der Reiter sein Pferd an, und blieb still halten, so lange das Gebet währete. Dann ritt er weiter in die Nacht hinein, niemand wußte, wohin. Unterhalb Schwallungen näher nach der Burg Todtenwart, vor Alters Tattenwarte genannt, führt eine Brücke über das durch ein Seitenthal zur Rechten herabkommende Flüßchen Schmalkalde. Dort war früher ein tiefer schauriger Hohlweg, der die ungetreue Hohle genannt wurde. Man sah zu Zeiten dort einen nächtlichen Trauerzug, 6 Männer, die einen Sarg auf einer Todtenbahre trugen, und Brücke und Hohle so versperrten, daß niemand darüber konnte. Auch das Vieh sah solche Erscheinung und scheute entsetzt zurück. Mancher der die Hohle und Brücke umgehen wollte, kam ganz vom Wege ab, und gerieth in die nahen Cralacher Teiche.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 86. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/94&oldid=- (Version vom 1.8.2018)