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Und stirbt ein ehrwürdiger Geistlicher, so flammt ein helles Licht in der Kirche.

Steht an einem Leichnam ein Auge offen, so heißts: der holt noch Eins nach. Auch das ist in Themar Volksglaube, daß, wenn einem Leichnam ein Schleifchen Band oder Zeug von seinem Sterbeanzuge in den Mund kommt, und er so beerdigt wird, so holt er nach und nach binnen kurzer Zeit die ganze Familie. Dieser Zug der Sage ist ein in Thüringen seltenes erinnern an den Vampyrismus, während der Glaube, daß, wenn ein Toder von einem noch Lebenden ein Stück Gewand mit an den Leib bekäme, der Lebende so langsam sich verzehren müsse, als jenes Stück im Grabe verfault, schon weit mehr allgemein ist.

Am heiligen Dreifaltigkeitstage, welches der goldene Sonntag ist (Trinitatis), soll man bei Leibe nicht arbeiten, dieß ist ein schon von den Vorältern auf die Nachkommen vererbtes heiliges Gebot, und wer dasselbe übertritt, läuft große Gefahr vom Blitz erschlagen zu werden. So setzte sich einmal zu Themar eine Magd an diesem Tage vor die Thüre, und flickte, trotzdem, daß ihre Herrschaft ihr davon abrieth, ihr Mieder. Als dasselbe wieder in Stand gesetzt war, zog die Magd das Mieder an, aber wie sie aus ihrer Kammer trat, zuckte ein Blitz, der sie auf der Stelle tödtete und das Mieder gerade da, wo sie dasselbe ausgebessert hatte, in Stücken riß.

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Ludwig Bechstein: Thüringer Sagenbuch. Erster Band. C. A. Hartlebens Verlags-Expedition, Wien und Leipzig 1858, Seite 48. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Ludwig_Bechstein_-_Th%C3%BCringer_Sagenbuch_-_Erster_Band.pdf/56&oldid=- (Version vom 1.8.2018)